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Der Tag an dem die Sonne verschwand

Titel: Der Tag an dem die Sonne verschwand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Domian
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Rettung! Du bist ein Engel! Schlepp mich zu meiner Werkstatt, dort pumpen sie mir das Zeug wieder raus!« Und das tat ich dann auch, ohne groß mit ihm zu diskutieren. Im Nachhinein hat mich das oft gewundert, da ich Fremden gegenüber immer eher distanziert und zunächst vorsichtig war. Er hatte mich wohl sekundenschnell in seinen Bann gezogen. Was konkret damals in mir vorging, ist mir bis heute ein Rätsel.
    Als sein Wagen endlich wieder dieselfrei war, lud er mich zu einem schicken Essen ein. Und erst da, nachdem wir schon eine Weile am Tisch gesessen hatten und wir uns zum ersten Mal zuprosteten, fragte er mich nach meinem Namen. Ich antwortete, er schien einen Augenblick zu überlegen, zog seine rechte Augenbraue hoch und sagte keck: »Na, Lorenz, mein Engel, da hab ich dich vorhin doch gut überrumpelt, was?« Er war ein Chaot, aber er war charmant und wahnsinnig witzig. Die Hälfte der Zeit, die wir miteinander verbrachten, haben wir gelacht. Aber zwischendurch gab es auch immer wieder stille und tiefe Momente. Wurde es ihm jedoch zu persönlich, machte er schnell wieder einen Witz, und wir waren bei einem anderen Thema. Heute glaube ich, dass ihm, genau wir mir damals, die zu große Nähe zu einem Mann irgendwie unangenehm war, sie ihn zumindest unsicher machte. Mich jedenfalls machte sie unsicher.
    Er studierte Wirtschaft, ging gerne angeln, war ein richtiger Frauenheld, spielte an der Uni Theater, sang in einem katholischen Kirchenchor und machte ständig irgendwelche für mich völlig undurchschaubare Geschäfte. Er stand immer unter Dampf und sprach so viel und so schnell, dass mir oft die Ohren heiß wurden. Aber er war ein guter Kerl, und seit der Tankstellenszene gehörte er zu meinem engsten Umfeld. Ich mochte ihn sehr, was mir jedoch gar nicht so bewusst war. Erst als er mir von seinem Auswanderungsplan erzählte, spürte ich für Sekunden Wehmut und Traurigkeit durch mein Herz flackern (daran kann ich mich genau erinnern), aber ich schob die irritierenden Gefühle schnell zur Seite und sagte: »Super Idee! Mach das! Australien ist bestimmt der Renner.«
    Unser Abschied dann war genauso kurios wie unser Kennenlernen: Eines Morgens stand er um sechs Uhr (!) vor meiner Tür. Ich hatte einen Kater vom Vorabend und war sauer, so früh geweckt worden zu sein. Er boxte mir freundschaftlich in den Bauch, betrat meine Wohnung, fläzte sich auf die Wohnzimmercouch und sagte: »Es geht los, Alter, ich flieg schon heute, und nicht erst in einem Monat. Ich schenke dir meinen Citroën, samt Inhalt. Hier ist der Schlüssel!«
    »Wie, was?«, stammelte ich. »Du schenkst mir das Auto? Samt Inhalt? Was ist denn da drin?«
    »Guck selbst!«
    Er ging zum Fenster, zog die Gardinen zurück und winkte mich zu sich.
    »Wie bitte?«, sagte ich. »Was soll denn das?«
    Auf dem Beifahrersitz des Citroëns, das konnte ich gut vom Fenster aus erkennen, räkelte sich eine verdammt scharf aussehende, sehr junge Frau.
    »Die ist für den ganzen Tag gebucht und von mir bereits bezahlt. Macht euch ein paar schöne Stunden!« Und noch ehe ich irgendetwas sagen oder fragen konnte, gab er mir einen Schmatzer auf die Stirn und flüsterte mir ins Ohr: »War’ne tolle Zeit mit dir! Machs gut! Wirst von mir hören!«
    Und weg war er.
    Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört. Und alle meine Nachforschungen verliefen im Sande.

38. EINTRAG
    23. Februar heute. Zum ersten Mal seit Beginn der Katastrophe ist die Temperatur etwas angestiegen. Es sind jetzt nur noch minus neun Grad. Warum mag das wohl so sein? Geschieht (wieder) etwas? Vielleicht etwas Gutes?
    Finn meint, wir könnten Hoffnung schöpfen. Das Ansteigen der Temperatur sei ein positives Zeichen. Ich bin skeptisch. Da wir über die uns umgebenden Phänomene rein gar nichts wissen, sind wir auch nicht in der Lage, irgendwelche Veränderungen zu deuten. Ich würde erst dann beginnen zu hoffen, wenn sich der Himmel aufhellte. Aber es ist nach wie vor stockfinster, und die dichte Wolkendecke lässt keinen Blick in den Weltraum zu.
     
    Wir haben jetzt 15.35 Uhr. Finn ist in der Anna-Thomas-Wohnung und holt Holz und Briketts. Außerdem hatte er vor, sich in der Elke-Wohnung ein paar neue Bücher auszusuchen. Dafür lässt er sich immer lange Zeit.
     
    Vorgestern Nacht ist etwas passiert, das mich sehr überrascht und bewegt hat. Wie ich bereits in einem früheren Eintrag beschrieben habe, schlafe ich nachts in meinem Bett im Schlafzimmer und Finn schläft auf der Couch im

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