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Der Tag an dem die Sonne verschwand

Titel: Der Tag an dem die Sonne verschwand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Domian
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sein Umfeld wechseln, um nicht aufzufallen. Wie einsam einen das Geheimnis an sich schon macht! Keinem Menschen kann man von dem Zauber erzählen! Und tut man es doch, wird man für verrückt erklärt oder man verbreitet Angst und Schrecken. Wer will schon einen Unsterblichen lieben? Wie gespenstisch! Wie klein und unbedeutend sich ein Sterblicher an der Seite eines Unsterblichen vorkommen muss!
     
    FINN: Ja, und spätestens nach hundert Jahren empfindet man alle Liebesrituale, das Werben und Sich-Annähern, die Seelenoffenbarungen und die Treueschwüre, als völlig absurd und öde. Man kann bestimmt gar nicht mehr lieben. Man will es auch nicht mehr.
     
    LORENZ: Dann muss man sich auf andere Dinge konzentrieren. Auf den Fortschritt zum Beispiel. Wie spannend, die großen und immer rasanteren Entwicklungen mitzuerleben. Vielleicht eines Tages Raumfahrtmissionen zu begleiten, das Weltall zu entdecken, in die gänzlich fremden Welten unbekannter Galaxien einzudringen …
     
    FINN: Aber auch all das wird irgendwann sein Ende finden. Und dann?
     
    LORENZ: Es geht immer weiter.
     
    FINN: So, wie alles Leben seinen Anfang hat – so hat alles Leben auch irgendwann sein Ende.
     
    LORENZ: Gut. Es gibt kein Leben mehr im ganzen Weltall. Ich bin unsterblich. Was geschieht dann?
     
    FINN: Dann vegetierst du im kalten Staub eines Planeten dahin, oder dein Körper treibt auf ewig durchs Universum.
     
    LORENZ: Wie grauenhaft!
     
    FINN: Ja, aber das Grauen fängt vermutlich sehr viel früher an. Nämlich dann, wenn jede Neugier befriedigt ist.
     
    LORENZ: Ob die Zeit einen zumindest weise macht?
     
    FINN: Nein, ich glaube, nur gleichgültig.
     
    LORENZ: Das stimmt vermutlich. Denn zur Weisheit gehört Gelassenheit. Wie aber kann man gelassen sein, wenn die Ewigkeit auf einem lastet?
     
    FINN: Man wäre ohne Ausweg. Ohne Hoffnung. Ohne Lachen. Ohne Weinen. Ohne Angst. Ohne Mut. Wie entsetzlich!
     
    LORENZ: Vielleicht kann man das Leben nur deshalb leicht nehmen, weil es endlich ist …
     
    So in etwa haben wir uns unterhalten.
    Natürlich ist es im Grunde absurd, in unserer Lage über die Unsterblichkeit zu debattieren. Dass wir uns aber zu einem derartigen Gedankenspiel überhaupt haben hinreißen lassen, zeigt mir, wie wenig finster unsere Gemüter gegenwärtig sind. Jede Diskussion über dieses Thema ist eigentlich aufgrund der Ereignisse des 17. Juli vergangenen Jahres hinfällig. Selbst der euphorischste Befürworter ewigen Lebens im Irdischen würde in der momentanen Welt niemals für immer existieren wollen. Allein die Tatsache, dass so etwas eintreten kann, was nun eingetreten ist, macht die Entscheidung pro oder contra Unsterblichkeit sehr einfach.

37. EINTRAG
    Finn hat mir erzählt, dass auch er, so wie ich schon vor Wochen, ein gewisses Bedürfnis nach Sexualität verspürt. Es sei aber kein dominierendes Gefühl, sagt er. Er könne gut Verzicht üben. Genauso geht es mir auch. Das Gefühl ist nicht besonders wichtig.
     
    Eigentlich hatte ich in meinem ganzen Leben noch nie einen richtigen Freund. Das wird mir erst heute klar. Und zwar durch Finn. Ich hatte immer Kumpels, mit denen ich über Frauen, Politik, Musik, meine Arbeit und so weiter sprach. Nie aber redete ich mit ihnen über Herzens-und Seelenangelegenheiten. Dafür waren die Frauen zuständig, meine jeweiligen Partnerinnen oder platonische Freundinnen.
    Der einzige Mann, der mein Freund hätte werden können, wanderte nach Australien aus, ein halbes Jahr nachdem wir uns kennengelernt hatten. Er hieß Kai, war damals, so wie ich, einundzwanzig Jahre alt und alle hielten ihn für verrückt. Ein bisschen war er es wohl auch – aber gerade das machte ihn mir so sympathisch. Zum ersten Mal begegnet sind wir uns an einer Tankstelle. Ich betankte gerade meinen alten VW-Käfer, und er rannte fluchend um seinen Citroën DS herum. Aus Versehen hatte er den Tank mit Diesel gefüllt anstatt mit Benzin. Was einer kleinen Katastrophe gleichkam. Als ich mir das Schauspiel näher betrachtete, wurde mir klar, dass das Versehen auf einen Moment der Verblendung zurückzuführen war, denn hinter seinem Wagen wartete in einem geöffneten Cabriolet eine extrem attraktive Blondine. Sie war der Grund seines Fehlgriffes an der Zapfsäule gewesen, und nun wusste er weder ein noch aus. Obwohl wir einander bis zu diesem Zeitpunkt absolut unbekannt waren, unterbrach er plötzlich sein Fluchen, guckte zu mir herüber und rief: »Du hier? Ich glaub es nicht! Das ist die

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