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Der Tag, an dem du stirbst

Der Tag, an dem du stirbst

Titel: Der Tag, an dem du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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Verfasser oder die Verfasserin der Nachricht mit dem Mörder Stephen Laurents gleichzusetzen war reine Spekulation. Dennoch warf sie für D.D. eine weitere Frage auf. Sie schaute Detective O ins Gesicht.
    «Haben Sie den Bericht in der Mordsache Antiholde gelesen?»
    «Ja, gestern, noch am späten Abend.»
    Na bitte, wie in guten alten Zeiten, als der Arbeitsplatz noch nicht Punkt fünf geräumt wurde.
    «War da von einer vorausgegangenen Nachricht des Täters die Rede?»
    «Wie meinen Sie das?»
    «Als ich die Wohnung von Stephen Laurent, also den Tatort, verlassen habe, fand ich eine Nachricht an meiner Windschutzscheibe. Ich frage mich, ob sie vom Täter stammen könnte.»
    Ellen O krauste die Stirn. «Was stand darin?»
    «Irgendwann muss jeder sterben. Sei tapfer.»
    «Oh, oh, oh, oh . Augenblick. Warten Sie bitte.»
    Sie rannte davon. D.D. blieb verdutzt zurück. Eine halbe Minute später kehrte O mit mehreren Fotos zurück. Eines zeigte das Mordopfer Douglas Antiholde. Ein anderes war die Nahaufnahme der Gegenstände, die in seinen Taschen gefunden worden waren: ein paar Münzen, eine Büroklammer und ein Blatt gelben Papiers, das offenbar zerknüllt gewesen und für das Foto geglättet worden war. Darauf stand zu lesen: Irgendwann muss jeder sterben. Sei tapfer .
    Die Nachricht war handschriftlich verfasst, jeder Buchstabe sorgfältig und wie über einem Lineal ausgeschrieben.
    «Nicht zu fassen», murmelte D.D.
    «Ein Serientäter, der’s auf Päderasten abgesehen hat», erklärte Detective O triumphierend. «Ich bin dabei.»
    «Einverstanden», sagte D.D. «Viel Glück. Uns allen.»

[zur Inhaltsübersicht]
    9. Kapitel
    Ich träumte von meiner Mutter.
    Sie stand in einer winzigen braun-goldenen Küche an der Anrichte. Ein Vorhang dunkler Haare verdeckte ihr ausgemergeltes Gesicht, als sie den Kinderreim «Aus Kettchen und Ringen und zierlichen Dingen, ja, daraus sind junge Mädchen gemacht» leise vor sich hin sang.
    In meinem Traum war ich drei Jahre alt. Ich hockte auf einem Hochstuhl für Kleinkinder. Mein Rücken klebte an der mit Vinyl bezogenen Rückenlehne, während mir ein weißer, mit Eigelb und Haferschleim bekleckerter Plastikgurt den Bauch einschnürte.
    Ich wollte herunter von dem Stuhl, wimmerte, weinte und zappelte. Wenn ich nur mit meinen schnellen kleinen Händen an die Schnallen käme, könnte ich fliehen. Das war mir, wie ich mich erinnerte, schon einmal gelungen. Daraufhin hatte meine Mutter einen neuen Gurt eingezogen, und nun waren die Schnallen hinter der klebrigen Rückenlehne. Ich kam nicht an sie ran. Ich war gefangen, mir war unwohl, und obwohl ich Hunger hatte, wollte ich unbedingt von dem Stuhl runter.
    Meine Mutter hielt eine Glühbirne in der Hand. Sie hatte sie aus der angeschlagenen weißen Lampe im Wohnzimmer herausgeschraubt und dabei leise vor sich hin gesungen: «Aus Kettchen und Ringen und zierlichen Dingen, ja, daraus sind junge Mädchen gemacht.»
    Meine Mutter legte die Glühbirne in eine blaue Plastikschale, nahm dann einen großen Metalllöffel in die Hand und schlug fest zu. Es klirrte kaum hörbar. Mein älteres Ich – nicht mehr das im Stuhl gefangene Kind von drei Jahren, sondern die erwachsene Frau von heute – schloss aus dem Geräusch, dass die Glühbirne zu Bruch gegangen war.
    Mein drei Jahre altes gefangenes Ich hatte seine großen blauen Augen weit aufgerissen und betrachtete die Mutter, die die Glühbirne zerschlug und weiter vor sich hin sang.
    Dann schaute es mich an und lächelte.
    Neben der Plastikschale stand ein Glas Erdnussbutter. Meine Mutter schraubte den Deckel ab. Sie tauchte den Löffel hinein und verrührte einen Teil der Butter mit den Glasscherben in der Plastikschale.
    «Aus Kettchen und Ringen und zierlichen Dingen», erklärte sie. «Ja, daraus sind junge Mädchen gemacht.»
    Sie kam auf den Hochstuhl zu und stellte die Schale auf dem viel zu kleinen weißen Tablett ab, das von Eiglibber überzogen war. Ich hörte, wie die Schale schmatzend aufsetzte.
    Meine Mutter hatte sich schick gemacht. Die Lippen glänzten, auf den Wangen war Farbe. Die braunen Haare waren frisch gewaschen. Sie hatte sich Zeit genommen, sie zu bürsten, bis sie schimmernd und wie braunrote Seide weit über den Rücken fielen.
    Ich wollte das Haar berühren, mit der Faust hineingreifen. Diesen weicheren, glanzvollen Teil meiner Mutter spüren.
    Meine Mutter sah hübsch aus. Sie faszinierte mich und machte mir gleichzeitig Angst.
    «Aus Kettchen und Ringen

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