Der Tag, an dem du stirbst
durchgeweint. Sie hatte die erste Schicht übernommen und ihn in den Schlaf zu wiegen versucht. Alex hatte sie dann abgelöst. Am Morgen waren beide fix und fertig gewesen.
Eine Kollegin stand vor ihrem Schreibtisch. Ellen O. Sie hatte auch einen richtigen Nachnamen, aber der war allzu lang und enthielt jede Menge Konsonanten. Als sie vor zwei Jahren frisch von der Akademie zu ihnen gestoßen war, hatte jemand ihren Namen abgekürzt, und meist verzichtete man auch auf Ellen. Fast alle nannten sie schlicht und einfach Detective O.
O war fünfzehn Jahre jünger als D.D. und ungefähr fünfzehn Pfund schwerer, die sich aber auf die richtigen Stellen verteilten. Sie hatte dunkle, exotische Augen und glänzende Haare in der Farbe von Zimt. Anfangs hatte sich die Männerriege sehr dafür interessiert, der jungen Kollegin von der Sitte als Mentor zur Seite zu stehen. Weil sie aber für deren Aufmerksamkeit unempfänglich zu sein schien, hieß es bald, sie sei lesbisch.
D.D. bezweifelte das. Ihrer Einschätzung nach lebte und atmete Detective O ihren Job. Sie war vielleicht noch engagierter als D.D., was vielen nicht besonders schmeckte. Auch D.D. hatte vor dem Neuling ein bisschen Angst, hätte das aber niemandem gegenüber zugegeben, niemals.
«Ihr toter Sittenstrolch», half O nach. «Der eine von möglicherweise zweien. Ich will in den Fall mit einbezogen werden.»
«Sie sind von der Sitte, und wir ermitteln hier in Mordfällen», sagte D.D. nüchtern.
«Aber es sind Päderasten involviert, und darauf bin ich spezialisiert. Glauben Sie mir, Sie brauchen mich.»
D.D. musterte sie mit kritischem Blick. Sie waren beide lange genug bei der Polizei, um zu wissen, dass sich ein Vertrauensappell als Argument denkbar schlecht eignete.
O ließ einen Papierstoß auf den Schreibtisch fallen. «Ein Bericht der Kriminaltechnik über das, was der erste Perversling auf seinem Computer hatte. Sie haben drei Minuten Zeit, einen Blick darauf zu werfen und mir zu sagen, welche relevanten Informationen für Sie dabei herausspringen. Ich habe den Bericht bereits gelesen.»
«Drei Minuten?» D.D. runzelte die Stirn. Sie hatte noch keine Gelegenheit gehabt, den «ersten» Fall zu bearbeiten, und beschäftigte sich ausschließlich mit dem Mord, der während ihrer Dienstzeit verübt worden war.
«Ich habe nur drei Minuten gebraucht», erklärte O und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie trug eine weiße Bluse über einem blauen, ärmellosen T-Shirt. Daran war nichts zu bemängeln. Trotzdem musste D.D. sich zusammenreißen, um ihr nicht den obersten Knopf zuzuknöpfen.
D.D. seufzte und gab auf. Sie schob den Bericht in Richtung O von sich weg. «Schön, Sie sind die Expertin, und zugegeben, wenn die beiden Mordfälle miteinander zu tun haben, könnten wir Hilfe gebrauchen. Was haben Sie mir anzubieten?»
O schien überrascht. Auch D.D. wunderte sich. Normalerweise gab sie nicht so schnell klein bei. Ha , hätte sie am liebsten gesagt, Sie sind vielleicht jünger und hübscher, aber ich habe mehr Erfahrung . Doch eine solche Bemerkung hätte wohl nicht wirklich gepasst, also verzichtete sie darauf.
«Nun denn», sagte O. Sie senkte die Arme, baute sich vor dem Schreibtisch auf und kam zur Sache. «Douglas Antiholde, Sexualstraftäter der dritten Kategorie, wurde vor vier Wochen in der Tür zu seiner Wohnung getötet. Mit zwei Schüssen in die linke Stirnhälfte.»
«Ja, das ist mir bekannt.» D.D. forderte Detective O mit einer Handbewegung auf, sich zu beeilen.
«Okay. Die meisten Päderasten sind spezialisiert, insbesondere in Bezug auf ihre Vorgehensweise. Manche üben Zwang aus, andere Gewalt, wiederum andere nutzen günstige Gelegenheiten. Wie auch immer, sie alle beginnen damit, sich ein Opfer auszusuchen und zu umwerben. In jüngster Zeit nutzen sie zunehmend das Internet.»
«Das ist bekannt», sagte D.D. und winkte wieder mit der Hand. Es war nicht ihr erstes Rodeo.
«Wissen Sie, welche Zielgruppe Online-Täter bevorzugen?», fragte O.
«Vierzehnjährige Mädchen», riet D.D.
«Falsch. Fünf- bis neunjährige Jungen.»
«Tatsächlich?» D.D. richtete sich ein wenig auf. Na schön, das hatte sie nicht gewusst.
«Douglas Antiholdes Online-Protokolle sind wie aus dem Lehrbuch», sagte O. «Er war auf fast allen einschlägigen Websites registriert, auch bei Facebook, Spokeo und Chatroulette. Sie müssen wissen, diese Typen sind regelrechte Day-Trader und rund um die Uhr im Einsatz. Sie surfen im Internet, suchen
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