Der Tag, an dem du stirbst
sich ein Opfer aus, bändeln mit ihm an und buhlen, buhlen, buhlen. Wie Börsenhändlern ist ihnen bewusst, dass sich nicht jeder Einsatz für sie auszahlt. Darum legen sie sich eine Art Portfolio an, bestehend aus zehn, fünfzehn, vielleicht zwanzig potenziellen Opfern, denen sie nachstellen. Dass ihnen alle auf den Leim gehen, erwarten sie nicht. Sie brauchen nur eines, das sie für ihre Bemühungen entschädigt.»
D.D. verstand die Welt nicht mehr. Der Vergleich mit Börsenhändlern machte sie für einen Moment sprachlos. «Hmmm, gibt es keine Sicherheitsprotokolle oder Software, die Kinder vor solchen Typen im Netz schützen?»
«Gibt es, aber sie taugen nichts. Die meisten Fünfjährigen besuchen Websites, die Spiele anbieten. Die Betreiber versprechen den Eltern natürlich größtmögliche Sicherheit. Sie unterhalten sogar einen Stab von Mitarbeitern, die darauf aufpassen, dass keiner ihrer Nutzer gehänselt oder gemobbt wird. Die Möglichkeiten, miteinander zu kommunizieren, sind außerdem begrenzt und beschränken sich auf Sofortnachrichten in Form von Sprechblasen mit vorformulierten Aussagen. Fragen wie He, sollen wir uns heute nach der Schule treffen? lassen sich nicht formulieren.
Leider übersehen die Eltern Entscheidendes. Wer sich auf so einer Site registrieren lässt, wird Mitglied einer virtuellen Community, die dazu auffordert, virtuelle Freundschaften zu schließen und möglichst lange am Ball zu bleiben. Im Grunde beginnt damit schon die Anmache. Ein Fünfjähriger ist schnell davon überzeugt, dass es gut ist, online und Mitglied einer Internet-Community zu sein. Er findet es toll und wünschenswert, mit völlig Fremden Freundschaft zu schließen. Online-Täter haben leichtes Spiel auf solchen Websites und kommen mit ihren Opfern schnell in Kontakt.»
«Aber wie?», fragte D.D. «Wenn sie doch, wie Sie sagen, nur mit vorformulierten Aussagen kommunizieren können?»
«Auf diesen Sites. Sie dienen ja auch nur der ersten Annäherung. Schauen Sie, ein Typ wie Antiholde besucht eine beliebte Plattform für Kinder, sagen wir AthleteAnimalz.com. Er loggt sich ein, gibt sich einen Tiernamen und wird Mitglied. In den ersten Wochen tut er das, was jeder andere Nutzer auch tut – er spielt wie verrückt. Er sammelt Punkte und gewinnt, was zu gewinnen ist. Jungen sind ganz besonders ehrgeizig und statusbewusst. Schon von klein auf wollen sie gewinnen oder zumindest Freunde von Gewinnern sein. Unser Mann legt es also darauf an, das erfolgreichste und populärste Mitglied der Site zu sein, ein Quarterback, von dem jeder andere Junge abgeklatscht werden möchte. Dann macht er sich an die Arbeit.
Er nimmt Bestand von den anderen Mitspielern auf und sucht dann nach jenen, die regelmäßig spielen. Denken Sie daran, er ist Day-Trader. Er muss die Aktienkurse im Auge behalten. Zufällige Besucher der Website interessieren ihn nicht, sondern nur diejenigen, die zu vorhersehbaren Zeiten aufkreuzen, also Kinder, die täglich eingeloggt sind, nach der Schule etwa oder nach dem Abendessen. Kinder, die er immer wieder antreffen kann.
An den einen oder anderen macht er sich nun heran. Er lädt dazu ein, Freundschaft mit ihm zu schließen, schlägt vor, mit ihm zu spielen. Und wieder arbeitet die Website für ihn und seine Zwecke. Man muss sich das wie in einem virtuellen Kriegsspiel vorstellen. Antiholdes Avatar wird einer sein, der sich als Beschützer anbietet und auf magische Art immer zur Stelle ist, wenn Not am Mann ist. Er rettet einen von Mal zu Mal. Umso beliebter wird er. Man ist schließlich richtig glücklich, ihn eingeloggt zu sehen, ihn in seinem Team zu haben. Und der Knaller überhaupt ist, wenn er dazu einlädt, mit ihm zu spielen. Dann ist man dick befreundet.»
«Verstehe», unterbrach D.D. «Aber das bewegt sich noch alles im virtuellen Bereich, so faszinierend er für Kinder auch sein mag. Und überhaupt, wie stehen die Chancen, dass das Kind in derselben Stadt wohnt wie der Täter? Es soll zwar schon vorgekommen sein, dass sich eine Sechzehnjährige hat beschwatzen lassen, in einen Flieger zu steigen, um ihren Chatfreund zu treffen – aber ein Fünfjähriger?»
«Wir haben doch die Teams», erwiderte O.
«Teams?»
«Ist doch klar: Sag mir, welches Team du magst, und ich sag dir, wo du wohnst. Ein Päderast aus Boston wird gezielt nach Fans der Red Sox, der Celtics, Bruins oder Pats Ausschau halten. In neun von zehn Fällen findet er so ein Opfer aus seiner Gegend. Und Jungs lieben es,
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