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Der Tag an dem ich erwachte

Der Tag an dem ich erwachte

Titel: Der Tag an dem ich erwachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emilia Miller
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hatte. „Wenn Sie bitte dieses Formular unterzeichnen würden? Vielen Dank!“
    Um nicht Gefahr la ufen zu müssen, meine neuen, teuren Zähne durch meine Schulkameraden unnötig gefährden zu lassen, ließ meine Mutter mich an eine neue Schule versetzen. Ava folgte mir. Nicht nur aus Loyalität, sondern auch, weil die Kinder auch sie hänselten, weil sie mit mir befreundet war. Endlich hatten wir unsere Ruhe. Unsere neuen Klassenkameraden gingen uns zwar misstrauisch aus dem Weg, aber sie sahen davon ab, uns zu beleidigen und zu demütigen, geschweige denn, uns körperlich anzugreifen. Wir brauchten keine neuen Freunde, denn wir hatten uns. Hin und wieder durfte Ava sogar bei mir übernachten. Wir liebten es, eng umschlungen nebeneinander einzuschlafen.
    „Meine Tante Grace kommt mich nicht mehr holen!“, weinte ich mich oft in den Schlaf.
    Dann umarmte mich Ava fest und tröstete mich: „Sie ist jetzt im Himmel, David. Sie passt auf dich auf. Lass uns beten!“ Wir standen vom Bett auf und setzten uns davor auf die Knie. „Vater unser im Himmel“, rezitierten wir synchron, „geheiligt werde Dein Name. Dein Reich komme, Dein Wille geschehe…“ Meistens konnten wir gleich danach einschlafen. Es sei denn, es kam ein Gewitter. Dann sangen wir uns gegenseitig „Heile, heile Segen“ vor. Richtig schlimm wurde es, wenn Ava nicht bei mir war. Wenn meine Mutter ihren freien Tag hatte, also jeden zweiten Tag. Dann widmete sie sich inbrünstig meiner Erziehung.
    „Nimm deine Ellenbogen vom Tisch runter, Davia!“, schrie sie mich wütend an, „und hör auf zu schmatzen! Kaue mit geschlossenem Mund, um Gottes willen! Zieh deine Knie zusammen, so wie du sitzt, geziemt es sich nicht für eine Dame. Halte deine Gabel nicht mit der ganzen Faust, du bist doch kein Neandertaler! Mein Gott, Davia, du bringst mich noch ins Grab!“ Ich hoffte inständig, dass es tatsächlich passieren würde, während ich brav ihren Anweisungen folgte. Doch der Alkohol schien ihren alten, verbitterten Körper immer stärker zu machen, ihn auf eine Art und Weise zu konservieren, die einen frühzeitigen Tod vollkommen ausschloss. Eines Tages kam sie früher als erwartet von der Arbeit nach Hause und erwischte mich im Bad, wie ich onanierte. “Du dreckiges Schwein!“, schrie sie hysterisch, lief in die Küche und kam mit der Küchenschere bewaffnet zurück. „Wo ist er, mach ich sofort wieder frei! Ich werde ich dir gleich abschneiden!“
    „Nein, Mama, bitte nicht!“, flehte ich sie an, „ich mache es nie wieder, ich verspreche es!“
    „Das will ich schwer hoffen“, sagte sie mit einem bedrohlichen Unterton. „Ein Jammer, dass diese blöden Ärzte verlangen, abzuwarten, bis du achtzehn bist. Diese Idioten!“, keifte sie gehässig. „Aber was soll’ s Davia, hab Geduld! Es dauert nicht mehr lange, nur noch ein paar Jährchen, die stehen wir gemeinsam durch. Und dann wirst du endlich zu meiner Tochter, die ich schon immer haben wollte! Damit ich dich endlich lieben kann.“ Als ich es Ava erzählte, berichtete sie mir von eine Reportage, die sie im Fernsehen gesehen hatte. Über einen Jungen, der eigentlich ein Mädchen sein wollte. „Er bekam so komische Hormontabletten, damit ihm Titten wuchsen und er wie ein Mädchen aussah. Und als er achtzehn wurde, hat man ihm sein Ding abgeschnitten und das daraus gemacht, was wir Mädchen da unten haben.“ Ich spürte, wie mir der kalte Angstschweiß ausbrach.
    „ Das will ich aber nicht!“, sagte ich mit einer vor Angst zitternden Stimme, „auf gar keinen Fall!“
    „Sie kann dich nicht dazu zwingen“, beruhigte mich Ava. „Die machen das sowieso nur, wenn man bereits achtzehn ist, und, wenn du erstmal achtzehn bist, kann sie dich zu nichts mehr zwingen. Meine Mom möchte, dass du dann bei uns einziehst. Sie hätte dich am liebsten jetzt schon bei uns aufgenommen, wenn es in ihrer Macht stehen würde.“ Bei der Vorstellung, bei Ava und ihrer Mutter zu wohnen, verbesserte sich meine Laune schlagartig. Wenn ich doch nur schon achtzehn wäre, dachte ich wehmütig. Ava las meine Gedanken und nahm mich in den Arm: „Bis dahin komme ich sooft ich kann, David. Wenn ich da bin, traut sie sich nicht, gemein zu dir zu sein.“ Damit hatte sie recht, wenn Ava bei uns war, riss sich meine Mutter zusammen. Dann legte Ava ihre weiche Wange auf meine und sang leise: „Heile, heile Segen, drei Tage Regen, drei Tage Schnee, und dann bist du schon achtzehn, ziehst hier aus und wohnst bei uns zu

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