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Der Tag an dem ich erwachte

Der Tag an dem ich erwachte

Titel: Der Tag an dem ich erwachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emilia Miller
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Haus’.“
    Mit vierzehn schlug ich meine Mutter zum ersten Mal. Ich weiß gar nicht mehr genau, wie es dazu kam. Ich erinnere mich nur, dass sie schon wieder sturzbesoffen war und mir wie immer ziemlich gemeine Dinge an den Kopf warf. Innerhalb von einem Jahr war ich so gewachsen, dass ich sie nun fast um einen Kopf überragte. Ich sah sie schweigend an, roch den Schnaps und die Kotze in ihrem Atem und hörte mir ihre Schimpftirade an. Ehe ich wusste, wie mir geschah, war mir irgendwie die Hand ausgerutscht, und ich schlug ihr mit voller Wucht ins Gesicht. Sie taumelte nach hinten, stützte sich an der Wand ab und sah mich verblüfft an. Ich grinste sie an und ging auf mein Zimmer. Als ich am nächsten Morgen beim Frühstück ihre geschwollene Wange sah, wurde mein Grinsen breiter und wollte den ganzen Tag lang nicht aus meinem Gesicht verschwinden.
    „Heute bist du aber gut gelaunt“, wunderte sich Ava, die daran gewöhnt war, mich stets deprimiert und niedergeschlagen zu sehen.
    „Ich habe ihr eine gescheuert!“, vertraute ich ihr voller Stolz an, „voll in die Fresse!“
    „Das hast du gut gemacht, David!“, freute sie sich, „mach’ s wieder, wenn sie dich fertig macht! Jetzt bist du größer und stärker als sie, jetzt kann sie dir nichts mehr!“
    Am Nachmittag machte ich ein Feuer im Garten und verbrannte alle meine Mädchenklamotten. Als die alte Hexe nach Hause kam, saß ich am Küchentisch, trank ein Glas von ihrem geheiligten Schnaps und rauchte eine Zigarette. Beides schmeckte widerlich, doch das Gefühl, Macht über sie zu haben, ihr das Einzige wegzunehmen, was ihr noch etwas bedeutete, war einfach nur überwältigend! Ihr schockierter Blick war besser als Weihnachten, Ostern und Geburtstag zusammen.
    „Lass deine dreckigen Pfoten davon!“, kreischte sie, „wie siehst du überhaupt aus, Davia? Wieso hast du kein Kleid an?“ Ich stand langsam auf und hielt die Schnapsflasche hoch. Sie wollte danach greifen, kam aber nicht hin, stellte sich auf die Zehenspitzen, doch ich hielt die Flasche noch höher, außerhalb ihrer Reichweite.
    „Willst du das , Mutter?“, fragte ich mit einem teuflischen Grinsen, „dann hol’ s dir doch!“ Und dann ließ ich die Schnapsflasche einfach fallen, sie zerbrach in tausend kleine Scherben, während eine kleine Pfütze sich um die Füße meiner Mutter langsam ausbreitete.
    „Ist das dein Dank dafür, was ich alles für dich getan habe, du mieses Schwein?“, heulte sie verzweifelt auf. „Für alles, was ich für dich geopfert habe?“
    „Nein, Mutter“, sagte ich leise und bedrohlich, ging einen Schritt auf sie zu und schlug ihr ins Gesicht. So stark, dass sie auf dem Boden landete. „ Das ist mein Dank!“ Ich ging fröhlich pfeifend auf mein Zimmer und machte es mir an meinem Schreibtisch gemütlich, bevor ich mich den Hausaufgaben widmete. Hörte, wie sie schluchzend die Küche saubermachte und aus dem Haus ging, um sich eine neue Schnapsflasche zu holen. Sich betrank, fluchte und kotzte. Ins Schlafzimmer ging, auf ihr Bett fiel und laut schnarchte. Danach schlich ich mich aus meinem Zimmer und bediente mich großzügig aus ihrem Geldbeutel. Am nächsten Tag ging ich in ein Fitnessstudio und schloss einen Jahresvertrag ab. Die Hälfte der Gebühren zahlte ich im Voraus in bar. Ich trainierte jeden Tag wie besessen, bis ich mich schließlich einer Muskulatur erfreute, die jeden, der mich einst geärgert hatte, mir vorsichtig aus dem Weg gehen ließ. An allererster Stelle meine Mutter. Mit fünfzehn hielt ich ihr zum ersten Mal ein Messer an die Kehle, als sie sich erdreistete, ihren Geldbeutel vor mir zu verstecken. Ich drückte das Messer so lange gegen ihre blasse, faltige Haut, bis ein Paar Bluttropfen herauskamen. „Wo ist es, Mutter?“, flüsterte ich bedrohlich. Sie rang nach Luft und zeigte auf eine Küchenschublade, in dem sie den Geldbeutel versteckt hatte. Ich holte mehrere Geldscheine heraus, hielt sie triumphierend hoch und ging zur Tür. Doch, bevor ich sie hinter mir schloss, um meine Mutter dem Trost ihrer geliebten Schnapsflasche zu überlassen, drehte ich mich um und sagte: „Wenn du es noch mal tust, töte ich dich! Hab dich lieb, Mommy“, fügte ich grinsend hinzu.
    Auch in der Schule traute sich niemand mehr, mich als „Schwuchtel“ zu bezeichnen. Den weiblichen Gang, den meine Mutter mir eingeimpft hatte, hatte ich nun vollkommen abgelegt, ebenso wie die guten Manieren, die sich „fü r eine anständige Dame geziemten“.

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