Der Tag an dem ich erwachte
neue Flasche“, sagte ich fröhlich und verschwand wieder in die Küche. Nun war es höchste Zeit zu handeln. Das Letzte, wonach mir der Sinn stand, war, diese morbide Geburtstagsfeier unnötig in die Länge zu ziehen. Ich entkorkte eine Flasche Champagner und vergoss die Hälfte über meine Jeanshose und meinen Pullover, bevor ich einen schrillen Schrei ausstieß. Beide Männer eilten sofort zu mir. Ich lachte beschämt und zeigte auf meine nassen Klamotten.
„Um Gottes Willen, Gail“, zeterte Greg genervt, „man kann dich keinen einzigen Moment aus den Augen lassen, ohne, dass du irgendwelche Dummheiten anstellst!“ Der kühle und gefasste Greg Grantham, der perfekte Gentleman und Gastgeber, machte nun Platz dem missmutigen, meckernden Greis Greg Grantham, den ich in letzter Zeit immer öfter erlebte.
„Es tut mir l eid, Schatz“, entschuldigte ich mich demütig, „zum Glück haben wir ja noch genug von dem Zeug da. Ich gehe mich schnell umziehen.“ Und dann war es endlich soweit: Ich hatte die Jeanshose, die Jeanshose samt Inhalt an! Ich dachte kurz nach, befreite die Spritze aus ihrer hygienischen Verpackung und füllte sie mit dem Beruhigungsmittel. Das leere Fläschchen wickelte ich in mehrere Servietten ein und entsorgte es in dem Müll. Zog einen langen, breiten Pullover an, der die Taschen meiner Hose perfekt versteckte. Bei meinem Anblick zog Greg seine Augenbrauen missbilligend zusammen.
„Du hättest dir ruhig etwas mehr Mühe mit deiner Erscheinung geben können, Gail“, nörgelte er, „schließlich ist heute dein Geburtstag. Dieses unförmige Zeug, was du da anhast, ist eine Beleidigung für meine Augen!“ Er hörte sich an wie ein kapriziöses Kleinkind. Robert runzelte kaum merklich die Stirn, anscheinend war er von Greg genauso angewidert wie ich.
„Ich weiß, Liebling“, gab ich sanft zurück, „ich hätte mich auch gern für dich in Schale geworfen. Aber es ist so kalt!“ Um es ihm genau zu demonstrieren, umarmte ich meinen Körper mit den Armen und rieb sie heftig.
„So kalt ist es nun auch wieder nicht!“, schnaubte er. Als ich uns die exklusiven kleinen Häppchen aus der Kühlbox servierte, erhellte sich seine Stimmung zusehends. Nach der dritten Champagnerflasche kehrte die gut e Stimmung endgültig zurück, so gut, wie sie unter diesen Umständen nur sein konnte. Denn uns allen dreien war klar, dass bald einer von uns sterben würde. Durch eine Gewalttat, die einer von uns verüben würde. Der Letztere stand fest. Bei dem Ersteren schieden sich die Geister. Zwei gegen einen. Die Finalrunde. Plötzlich fühlten sich die Taschen meiner Jeanshose so schwer an, als hätte ich sie mit Steinen gefüllt. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, einfach ins Wasser zu springen und das ganze Elend auf diese Weise abrupt zu beenden. Es wäre ein würdevoller, sauberer Abgang. Womöglich feige, dennoch unbestritten sauber. Und irgendwie verlockend. Sollte ich diesem Impuls nachgeben?
„Nein!“, meldete sich plötzlich eine Stimme aus meinem Innersten, aus den tiefsten Abgründen meiner geschundenen Seele, so laut und deutlich und so anklagend, dass ich sie unmöglich ignorieren konnte. Diese Stimme gehörte definitiv nicht Gail, nein, es war David, mein altes, mein wahres Ich, das sich energisch einen Weg zu meinem Bewusstsein erkämpfte. „Nein!“, schrie diese Stimme so ohrenbetäubend, dass sie meinem Trommelfell wehtat. „Nicht du, sondern er muss sterben! Bring es zu Ende!“
Derweil plauderte Greg mit Robert entspannt, er erklärte ihm, wie er seine Prüfung wiederholen konnte. „Der Dekan ist ein guter Freund von mir“, vertraute er Robert an. „Er schuldet mir mehr als nur einen Gefallen. Also, wird er mir meine Bitte sicherlich nicht abschlagen. Sie machen die Prüfung erneut und erhalten endlich Ihr Diplom. Das haben Sie sich wirklich verdient, mein Freund!“ Ich musterte Robert ausgiebig, beobachtete jeden Mimikzug von ihm und stellte schockiert fest, dass er bereits dabei war, Greg auf den Leim zu gehen. Wie unzählige andere Menschen zuvor, erlag er nach und nach Gregs Charisma.
„Aber… meinen Sie wirklich, dass es funktionieren wird?“, hing er ihm hoffnungsvoll an den Lippen.
„Ich meine es nicht nur, ich weiß es!“, versicherte ihm Greg. „Ich gebe Ihnen mein Wort.“
„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, Mister Grantham!“, stammelte Robert dankbar. Verdammt, Robert, wach auf, dachte ich und versuchte, ihn zu hypnotisieren, doch im Gegensatz
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