Der Tag, an dem John Dillinger starb
Fallon hinter sich sagen. »Von hier aus haben wir noch ein paar Stunden zu fahren.«
»Ich hab nicht mal gemerkt, daß wir durch Chihuahua ge kommen sind.«
»Ich wollte dich nicht eigens wecken. Wir haben nur zehn Minuten Aufenthalt gehabt, während die Lokomotive gewech selt worden ist.«
La Lina schien ihnen aus der Dunkelheit entgegenzuschwe ben, während der Zug langsamer wurde und mit kreischenden Bremsen zum Stehen kam. Die Haltestelle bestand lediglich aus einem kleinen Steingebäude mit zwei angebauten Schup pen. Der Stationsvorsteher kam mit einer Laterne in der Hand aus dem Gebäude, und drei Mestizen mit Strohhüten und Decken, die an der Außenmauer gehockt hatten, standen auf und schlurften auf den haltenden Zug zu.
Dillinger und Fallon sprangen von der untersten Stufe des Trittbretts und gingen die Wagenreihe entlang nach hinten, um sich die Beine zu vertreten. An den Plattformwagen, auf dem der weiße Chevrolet vertäut stand, waren mehrere geschlossene Güterwagen angehängt worden. Als die beiden stehenblieben und sich eine Zigarette anzündeten, hörten sie ein halblautes Wiehern und gedämpfte Hufschläge.
»Wo sind diese Wagen angehängt worden?« erkundigte Dil linger sich.
»In Chihuahua. Der Schaffner hat mir erzählt, daß das Renn pferde sind, die nach Juarez befördert werden. Dort finden kommende Woche die großen Rennen statt.«
Als Dillinger und Fallon umkehrten, standen die drei Mesti zen geduldig mit schulterhoch erhobenen Händen neben dem Zug, während der Bahnhofsvorsteher und der Schaffner sie gründlich durchsuchten.
»Was hat das zu bedeuten?« fragte Dillinger.
»Sie sagen, daß der Zug in den vergangenen vier Monaten dreimal überfallen worden ist«, antwortete Fallon. »Die Bandi ten steigen unterwegs als Kleinbauern verkleidet zu. Letztes Jahr haben sie bei Sonora den Lokführer des Nachtschnellzugs erschossen und den Zug eine Gefällestrecke runterrasen lassen. Nach vier oder fünf Meilen ist er dann entgleist.«
Die Amerikaner stiegen wieder ein, und der Schaffner schloß die Tür hinter ihnen. Dann drehte er sich um und sprach sie auf englisch an. »Wie ich sehe, sind Sie in ein Abteil erster Klasse umgezogen, Señores.«
»Im anderen Wagen ist’s zu voll«, antwortete Dillinger.
»Aber auch billiger, Señor. Sind Sie bereit, den entsprechen
den Aufschlag zu zahlen?«
»Damit haben Sie einen wunden Punkt berührt«, gab Dillin
ger zu.
Der Schaffner zuckte mit den Schultern. »Dann muß ich Sie leider bitten, Ihre vorigen Plätze einzunehmen, Señores«, sagte er mit vollendeter Höflichkeit. »Ich habe meine Pflicht zu tun – das verstehen Sie doch?«
»Ich hab gleich gewußt, daß das nicht vorhalten würde«, behauptete Fallon.
Sie holten ihr Gepäck aus dem Abteil und kehrten in den Wagen zweiter Klasse zurück. Die meisten Fahrgäste schliefen. Dillinger und Fallon hatten Glück und bekamen ihre ursprüng lichen Plätze am Durchgang zum Gepäckwagen wieder.
Fallon legte seinen Kopf auf die Arme. Dillinger schob seinen Hut nach vorn, lehnte sich zurück und erblickte eine junge Indiofrau mit rotem Rock und einem großen, in ein Tuch eingeschlagenen Bündel zwischen den Beinen. Sie starrte an ihm vorbei die Wand an, als befinde sie sich in einer Art Trancezustand.
Er schnippte seinen Zigarettenstummel aus dem Fenster und schloß die Augen. Sekunden später merkte er, daß die junge Frau sich bewegte. Er sah auf und stellte fest, daß sie nach hinten zu den drei Mestizen blickte, die in La Lina zugestiegen waren. Einer der Männer nickte ihr kaum merklich zu.
Der Mann warf seine Decke ab und stand auf. Er war mittel
groß, und muskulöse Schultern zeichneten sich unter seinem verblichenen Khakihemd ab. Die hohen Backenknochen und die breite Nase ließen reines Indianerblut in seinen Adern vermuten.
Die junge Frau ging wortlos zu den Männern, legte ihr Bün del zwischen ihnen ab und knotete das Tuch auf. Die drei griffen hinein und holten Revolver heraus. Dillinger stieß Fallon mit dem Ellbogen an.
»He, jetzt wird’s interessant!« flüsterte er ihm zu. »Paß auf, gleich können wir Kollegen bei der Arbeit beobachten!«
Fallon richtete sich auf und stieß einen leisen Fluch aus. »Das ist Juan Villa«, sagte er dann.
»Kennst du ihn?«
»Er ist früher Peon bei Rivera gewesen. Vor ein paar Jahren hat er einen Vormann erstochen. Ein richtiger Hitzkopf. Schon mal von
Weitere Kostenlose Bücher