Der Tag, an dem John Dillinger starb
Scher gen.« Er rieb sich vorsichtig das Kinn. »Ein Schläger namens Valdez.«
»Du hast ihnen gesagt, daß ich John Dillinger bin.« Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Dillinger starrte den Alten prüfend an, und Fallon antwortete ruhig: »Sie haben mich dazu gezwungen, Mr. Dillinger, sie haben’s mit Gewalt aus mir rausgeholt.«
Plötzlich kam es zu einer Rangelei zwischen zwei auf der nächsten Bank hockenden Häftlingen. Dillinger stand ruckartig auf. »Maul halten!« rief er mit durchdringender Stimme. Niemand brauchte zu wissen, was diese Worte bedeuteten: Der Tonfall war Befehl genug. Die beiden Mexikaner sanken auf ihre Bank zurück. Die anderen starrten den Gringo an, der mit einer Autorität sprach, über die nicht einmal der Polizeichef verfügte. Wenn sie jetzt miteinander redeten, flüsterten sie nur noch.
»Schon besser«, meinte Dillinger zufrieden.
Fallon hüstelte. »Ich hab Sie mit diesem Rivera gesehen. Wissen Sie, wer er ist?«
»Er hat mir einen Job in seinem Bergwerk angeboten.«
»Der Kerl ist ein Schweinehund, Mr. Dillinger. Als ich da
mals mit knapper Not vor der Polizei nach Mexiko entkommen bin, hab ich bei Rivera gearbeitet.«
»Du hast ihm erzählt, wer ich bin.«
»Ich hab mir sozusagen entlocken lassen, daß hinter Ihnen mehr steckt als ein einfacher Mr. Jordan, aber mehr hat er nicht von mir erfahren.«
»Dann hat die Polizei dich geschnappt?«
»Allerdings! Nachdem der Indio mich weichgemacht hatte, ist Rivera in die Zelle gekommen, und Hernandez hat mir geraten, endlich auszupacken, sonst … Ich mußte mich ver pflichten, auch wieder in Hermosa zu arbeiten. Ich hatte keine andere Wahl, verstehen Sie?«
»Schon gut, Alter.« In der Packung steckte eine letzte Ziga rette. Dillinger brach sie auseinander und bot Fallon eine Hälfte an.
Fallon steckte die Hälfte in seine Brieftasche.
»Hebst du sie für später auf?«
»Ich heb sie für ewig auf! Ein Erinnerungsstück: ‘ne halbe Zigarette, die Johnny Dillinger mir geschenkt hat.«
»Was hast du da?« fragte Dillinger und zeigte auf eine zu sammengefaltete Ansichtskarte, die ein Stück weit aus Fallons Geldbörse gerutscht war, als er seine Zigarettenhälfte wegge steckt hatte.
Fallon strich die Karte glatt. Es handelte sich um eine Werbe postkarte des Hotels Shanghai Rose. Vor dem Hotel stand eine exotische Schönheit – die schönste Frau, die Dillinger je gesehen hatte.
»Wer ist das?«
»Das ist Rose persönlich. Seit dem Tod ihrer Eltern führt sie das Hotel in Hermosa ganz allein.«
»Woher kommt dieser Gesichtsschnitt?« erkundigte Dillinger sich.
»Sie meinen die Augen? Sie ist halb Chinesin, halb Spanie rin.«
»Sieht sie wirklich so gut aus wie auf dieser Postkarte?«
»Besser! Und sie ist außerdem verdammt nett. Kaum zu glau
ben, daß sie Riveras Nichte ist. Ihr Vater und Rivera haben sich nie vertragen. Rivera wollte nicht, daß sein jüngerer Bruder eine Chinesin heiratet. Hätte er’s nicht getan, gäb’s keine Rose. Als ihr Vater letztes Jahr gestorben ist, ist Rivera nicht mal zur Beerdigung gekommen. Wissen Sie, was sie daraufhin getan hat, um ihren Onkel zu ärgern? Sie hat ein neues Schild malen und über dem Hoteleingang aufhängen lassen.«
»Was steht darauf?«
»Shanghai Rose.«
Dillinger lachte schallend.
»Bei jedem Besuch in der Stadt sieht Rivera dieses Schild. Ja, Rose ist schon was Besonderes!«
»Du bist doch nicht etwa in sie verknallt?«
»Ich?« fragte Fallon erstaunt. »Sie ist ‘ne Dame! Außerdem würde sie einen runtergekommenen alten Stromer wie mich keines Blickes würdigen. Sie lebt in Hermosa wie eine verwun schene Prinzessin, die auf ihren Prinzen wartet.«
Dillinger wurde allmählich ungeduldig. Wie lange wollten sie ihn hier schmoren lassen? Fallon war eingenickt. Als er jetzt wieder aufwachte, erkundigte Dillinger sich: »Warum hat Rivera solche Schwierigkeiten, Arbeiter für sein Bergwerk zu finden?«
»Seine Goldmine bei Hermosa ist als lebensgefährlich verru fen. Ich weiß von mindestens fünf Stolleneinbrüchen mit Dutzenden von toten Indianern. Er läßt dort oben Apachen für sich arbeiten.«
»Apachen? Ich dachte, die seien mit dem Wilden Westen ausgestorben.«
»Nicht in der Sierra Madre. In den Bergen haben sie sich am besten gehalten. Dort gibt’s noch viele Apachen.«
»Warum bist du einverstanden, dorthin zurückzugehen, wenn alles so
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