Der Tag, an dem John Dillinger starb
Identität geht nur mich etwas an.«
»Fallon weiß, wer ich bin.«
»Fallon tut genau das, was ich ihm sage.«
»Und der Polizeichef, dieser Santos?«
Rivera lächelte schwach. »Er hat das Geld. Ich habe sein Schweigen.«
»Das ist mein Geld gewesen«, stellte Dillinger fest.
»Aber wem hatten Sie’s gestohlen? Ich schlage vor, daß wir uns auf die Zukunft konzentrieren, anstatt mit der Vergangen heit abzurechnen«, sagte der Mexikaner. »Ich brauche einen Mann, der unter nicht ganz einfachen Bedingungen mein Goldbergwerk leitet. Ich brauche einen energischen Mann, der bei meinen Indios auf Disziplin achtet und nicht davor zurück schreckt, notfalls zur Pistole zu greifen. Sie mit Ihrer Erfahrung sind eigentlich der ideale Mann für diesen Posten.«
»Haben Sie sich schon mal überlegt, daß ich andere Absich ten haben könnte?«
»Hermosa liegt zwanzig Meilen von der nächsten Bahnstrek ke entfernt, auf der nur alle vierzehn Tage ein Zug verkehrt. Unsere Straßen sind die schlechtesten von ganz Mexiko, fürchte ich. Aber wir sind mit der Zivilisation durch eine ausgezeichnete Telegrafenlinie verbunden, und Santos hat Sie meiner Aufsicht übergeben. Sollten Sie nicht spuren, ist er bereit, den letzten Teil unseres Abkommens zu erfüllen.«
»Und der wäre?«
»Er übergibt Sie der amerikanischen Grenzpolizei – natürlich unter Ihrem richtigen Namen.«
Dillinger ließ seine Zigarette in Riveras Cognacglas fallen.
Der Mexikaner starrte ihn wütend an. »Tun Sie Ihre Arbeit,
mehr verlange ich nicht von Ihnen. Leisten Sie anständige Arbeit, kommen wir gut miteinander aus. Erweisen Sie sich als Taugenichts –«
Dillinger öffnete die Abteiltür und ging hinaus. In gewisser Beziehung hatte er gewonnen. Zuletzt hatte Rivera die Beherr schung verloren.
Der Wagen zweiter Klasse war mit Einheimischen überfüllt – vor allem mit Bauern, die zum Markt fuhren –, und die Hitze und der Geruch ungewaschener Leiber bildeten eine für Dillin ger schwer erträgliche Kombination.
Er sah Fallon in einer Ecke hockend mit abgegriffenen Spiel karten eine Patience legen. Fallon hob den Kopf und verzog angewidert das Gesicht. »Dieser Gestank dreht einem fast den Magen um, Mr. Dillinger.«
»Deshalb die Fahrkarten zweiter Klasse«, sagte John Dillin ger. »Er will uns zeigen, wohin wir gehören.« Er nahm seine beiden Koffer aus dem Gepäcknetz. »Komm, wir hauen ab. In der ersten Klasse ist reichlich Platz. Und noch was: Ich heiße Jordan, nicht Dillinger. Merk dir das!«
»Okay, ich werd’s versuchen«, versprach Fallon ihm.
Sie bezogen das erste leere Abteil, an dem sie vorbeikamen. Fallon brachte zwei Flaschen Bier aus seiner Reisetasche zum Vorschein und lümmelte sich in eine Fensterecke.
»So gefällt’s mir schon besser. Was tun wir, wenn der Schaffner kommt?«
»Was glaubst du?«
Fallon öffnete die erste Flasche und bot sie Dillinger an. »Was hat Rivera gewollt?«
»Er hat mir vor allem beweisen wollen, wer hier der Boß ist.«
»Das sieht dem Schweinehund ähnlich!«
Dillinger versuchte das Bier. Es war lauwarm und abgestan
den, aber immerhin besser als gar nichts. Er stellte die Flasche auf den Boden neben sich, zündete sich eine Zigarette an und
legte die Füße auf den Sitz gegenüber.
»Wieso hat Rivera eigentlich die Revolution überlebt? Ich dachte, Männer wie er seien alle an die nächste Wand gestellt worden.«
»Manche sind eben übriggeblieben.« Fallon zuckte mit den Schultern. »Bei jedem Fischzug gehen ein paar kapitale Brok ken durchs Netz.«
John Dillinger schrak aus unruhigem Schlaf auf. Der Zug befuhr eine abschüssige Strecke in einem schmalen Cañon, und die Wagen ruckten gegeneinander, als der Lokführer zu brem sen begann. Auf Dillingers Taschenuhr war es 4 Uhr. Er stand auf und stieg über den schlafenden Fallon hinweg, um auf den Seitengang zu gelangen.
Er stand am Fenster und fröstelte leicht, als die kalte Bergluft hereinwehte. Der Himmel war sehr klar; weiße Sterne standen, fast ohne zu flimmern, auf dunklem Samt, der sich am Hori zont bereits etwas heller zu färben schien. In diesem schwa chen Lichtschein waren auch die zu beiden Seiten aufragenden riesigen Gipfel nur undeutlich auszumachen. Kurze Zeit später wurde der Cañon breiter, und Dillinger erkannte die Lichter eines kleinen Bahnhofs.
»La Lina – nur eine Bedarfshaltestelle für Post und Fahrgä ste«, hörte er
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