Der Tag, an dem John Dillinger starb
Gliedern. Er hatte einen verdammt langen Tag hinter sich. Er trug die Satteltaschen zu der Stelle hinüber, wo Nachita bereits damit beschäftigt war, aus Zweigen und Kiefernzapfen ein kleines Feuer in einer Mulde zwischen drei Felsblöcken zu entfachen.
Alle drei waren ausgepumpt und erschöpft. Rivera starrte blicklos in die Flammen; die Anstrengungen dieses Tages hatten tiefe Spuren in sein Gesicht gegraben.
Auf den ersten Meilen der Fahrt durch die Wüste war das Gelände nicht einmal schlecht: eine ebene, sonnendurchglühte Fläche, auf der der Chevrolet gut vorwärts kam. Einmal brach te Dillinger ihn sogar auf sechzig; dabei schlug Villa ihm von hinten auf die Schulter und lachte vor Begeisterung wie ein kleiner Junge.
»So schnell ist kein Pferd, amigo!« rief er laut.
Dillinger mußte jedoch langsamer fahren, als sie eine weite braune Ebene erreichten, die von Spalten durchzogen und mit Felsbrocken bedeckt war.
Die Weiterfahrt glich der Durchquerung eines Labyrinths: Sie wechselten von einem ausgetrockneten Bachbett ins nächste über, kamen mit bestenfalls zwölf bis fünfzehn Meilen Ge schwindigkeit voran und gerieten häufig in Sackgassen, aus denen sie sich im Rückwärtsgang herauswinden mußten, um einen neuen Anlauf zu nehmen. So kamen sie nur schmerzlich langsam voran, und die Abenddämmerung sank bereits herab, als sie das Ufer eines ausgetrockneten Salzsees erreichten.
Die Hitze und der Staub waren unbeschreiblich. Sie hielten bei einer Gruppe Orgelkakteen, von denen Villa einige ver trocknete Teile abbrach, um über einem kleinen Feuer Kaffee zu kochen, während Dillinger den Benzintank des Chevvys aus den Kanistern im Kofferraum auffüllte. Dann sah er nach dem Kühlwasser und stöhnte.
»Das Wasser verdampft hier schneller, als ich gedacht hätte.« Dillinger holte den Wasserkanister aus dem Kofferraum. »Das sollte unser Trinkwasservorrat für Notfälle sein.« Er goß das restliche Wasser aus dem Kanister in den Autokühler und achtete darauf, keinen Tropfen zu verschütten.
Als es dunkel wurde, saßen Villa und er mit Rose auf dem Trittbrett und tranken Kaffee. »Der alte Wagen hat eine Ruhe pause verdient – die tut ihm nur gut«, meinte Dillinger.
»Wie ‘nem Pferd, was?« fragte Villa.
Dillinger tätschelte das staubbedeckte Blech des Chevrolets. »Wenn er uns im Stich ließe, hätten wir morgen in der Sonne keine allzu großen Chancen, schätze ich.«
»Der Tod ist uns allen gewiß, mein Freund. Die Würfel sind längst gefallen. Auch das Ergebnis steht schon lange fest – das weiß niemand besser als Mr. Dillinger.«
Dillinger runzelte die Stirn. »Rose weiß, wer ich bin, aber wie bist du darauf gekommen?«
»Ich hab dein Foto vor ein paar Monaten in Durango in der Zeitung gesehen. Trotz deines neuen Schnurrbarts hab ich dich im Zug erkannt. Als wir unter vier Augen miteinander gespro chen haben. Als du mir die Flucht ermöglicht hast.«
»Du hast niemand davon erzählt?«
»Ich bin dir zu Dank verpflichtet gewesen, mein Freund, und außerdem sind wir sozusagen Kollegen. Das Leben ist ein ziemlich wildes Pokerspiel.«
Villa suchte sich einen Schlafplatz abseits, so daß Dillinger und Rose diese dunkle Nacht Seite an Seite verbringen konn ten.
Mitten in der Nacht schrak Dillinger auf, weil er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Er wollte eben aufspringen, um eine Waffe zu ziehen oder sich mit den Fäusten zu verteidigen, als ihm klar wurde, daß das Roses Hand war.
»Du schläfst unruhig«, flüsterte Rose. »Ich wollte dir nur sagen, daß ich dich liebe.«
Dillinger drehte sich auf den Rücken. Der Sternenhimmel leuchtete in unerwarteter Pracht.
Sie brachen frühzeitig auf, und der Chevvy kam gut voran, als plötzlich mit lautem Knall der linke Vorderreifen platzte. Der Chevrolet schlingerte wild, und Dillinger kämpfte mit dem Lenkrad, während der Wagen durch Sand und Geröll schleu derte, bis er endlich zum Stehen kam.
Danach herrschte sekundenlang Schweigen. »Jemand ver letzt?« fragte Dillinger schließlich.
»Ich hab mein Herz ausgespuckt, wie’s in einer mexikani schen Redensart heißt, aber sonst ist alles in Ordnung«, ant wortete Villa.
»Danke, mir fehlt nichts«, sagte auch Rose.
»Okay, dann wollen wir den Schaden besichtigen.«
Der Reifen hing in Fetzen von der Felge, aber viel schlimmer war die Tatsache, daß die Hinterachse auf einem größeren Felsbrocken
Weitere Kostenlose Bücher