Der Tag, an dem John Dillinger starb
nicht rüber.«
»Komm, ich zeig’s dir.« Der Alte griff nach einem Stock und zeichnete in den Sand. »Ortiz kommt hier aus Westen. Wir schneiden ihm den Weg ab und sind mit etwas Glück vor ihm da. Du, mein Freund, fährst mit deinem Wagen nach Norden in die Wüste hinaus und weit ausholend um den Bergstock herum. Das ist ein ziemlicher Umweg. Mindestens hundert Meilen, aber in der Kühle der Nacht.« Er zuckte mit den Schultern. »Und dein Automobil ist schneller als der Wind, nicht wahr?«
»Und was ist, wenn es in der Wüste eine Panne hat?« warf Rose ein. »Die Sonnenhitze kann einem tagsüber das Gehirn ausdörren.«
»Auf dem Marsch übers Gebirge kann ein Pferd – oder ein Mann – sich das Bein brechen«, stellte Nachita ungerührt fest. »Auf diese Weise haben wir zwei Chancen, Agua Verde vor Ortiz zu erreichen.«
»Gut, wir fahren«, entschied Dillinger. »Will jemand als Anstandsdame für Rose und mich mitkommen?«
»Ich komme mit«, erbot Villa sich. »Ich kenne dieses Gebiet, du bist hier fremd.«
Dillinger wandte sich an Rose. »Willst du Villas Pferd neh men und mit den anderen reiten?«
Sie sah kurz zu ihrem Onkel hinüber, bevor sie den Kopf schüttelte. »Ich fahre mit dir.«
»Okay, dann kann’s gleich losgehen.«
Die beiden Männer klappten das Kabrioverdeck hoch. Villa kletterte rasch auf den Rücksitz, als Dillinger sich ans Lenkrad setzte und auf den Anlasser drückte, »Nimm mein Pferd mit!« rief er Chavasse zu.
Dillinger winkte den anderen zu. »Wir sehen uns in Agua Verde!« Er gab Gas und fuhr in die Wüste hinunter.
Nachita führte sie in Serpentinen zwischen Mesquite und Kakteen den Berg hinauf, ohne ein einziges Mal zu zögern. Nach etwa einer Stunde überschritten sie einen Grat und befanden sich auf einem Felsband, das mit Geröll und einer dünnen Erdschicht, die von den Wurzeln einiger niedriger Sträucher zusammengehalten wurde, bedeckt war.
Rivera, der die Nachhut gebildet hatte, kam nach vorn. Sein Gesicht war von den Anstrengungen des Ritts gezeichnet.
»Warum halten wir hier?«
Der Alte war bis zu der Stelle weitergeritten, wo das Felsband abknickte, und kam jetzt zurück. »Von hier an müssen wir den Pferden die Augen verbinden«, sagte er, während er abstieg. »Reißt Streifen von euren Decken ab.«
Nachita ging voraus; die beiden anderen folgten ihm mit einigen Pferdelängen Abstand. An der Stelle, wo die Fortset zung des Felsbands sichtbar wurde, hielt Chavasse unwillkür lich den Atem an. Der Weg – falls man hier überhaupt noch von einem Weg sprechen konnte – verengte sich auf eineinhalb bis eindreiviertel Meter Breite. Rechts kam nichts mehr, nur noch Luft bis zu dem tief unter ihnen liegenden Talboden.
Das Felsband stieg steil an und folgte der leichten Kurve des Steilhangs. Chavasse kletterte hinter Nachita her und bemühte sich, sein Pferd möglichst dicht an der Felswand zu halten.
Dann wurde das Band immer schmaler, bis es schließlich kaum noch Platz für Mensch und Tier nebeneinander bot. Der junge Franzose hastete weiter, ohne in die gähnende Tiefe zu blicken, und erreichte glücklich ein kleines Plateau. Dahinter begann ein schwach ansteigendes, mit einzelnen Bergkiefern bestandenes Geröllfeld, an dessen Rand Nachita wartete.
Rivera schloß zu den beiden anderen auf. Der Franzose lehnte an seinem Pferd und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Daran denke ich mein Leben lang.« Chavasse wandte sich an den Apachen. »Können wir hier rasten?«
Der Alte schüttelte den Kopf. »Ab hier können wir wieder reiten. Einen guten Lagerplatz finden wir im Wald auf der anderen Seite des Berges.«
Sie nahmen ihren Pferden die Augenbinden ab, schwangen sich in den Sattel und ritten hinter Nachita her. Tief unter ihnen lag die Wüste in Purpur- und Grautöne gehüllt, die an den Rändern bereits in Schwarz übergingen. Die Abendsonne übergoß die Berggipfel mit rotgoldenem Licht.
In der Höhe war es kühler, die Luft duftete angenehm nach Kiefern, und der gefährliche Aufstieg lag bereits so weit hinter ihnen, daß er kaum noch glaubhaft wirkte.
Vor ihnen hob sich der letzte Grat vom Abendhimmel ab, an dem bereits der erste Stern leuchtete. Die drei Männer über schritten ihn, ließen die Pferde nach kurzer Rast bergab weiter gehen und erreichten eine Lichtung. Sie stiegen ab, als Nachita ihnen mit erhobener Hand ein Zeichen gab.
Chavasse fühlte die Müdigkeit wie Blei in seinen
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