Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte
tatsächlich passiert, hier und jetzt …
Jemand klatscht hart auf seine Wange: „Doktor Sommerfeld!?“
Ein rauer klagender Schrei durchschneidet die Idylle, ein Urschrei äußerster Hilflosigkeit, der tief aus seinem Inneren zu kommen scheint und ihn wie ein Blitz durchzuckt.
Wach auf, denkt er verzweifelt, wach auf! Er will die Augen öffnen, aber das kommt einem Gewaltakt gleich und ist schier unmöglich. Er möchte ins Meer zurück, aber etwas Namenloses, Grauenhaftes hält ihn gegen seinen Willen fest. Etwas, das er sich bisher noch nicht mal vorstellen konnte. Etwas, das ihn auslöschen will.
Ein neuer Schrei peitscht durch die Stille, diesmal hoch, grell und miauend, in einem fast trillernden Falsett. Er scheint aus seiner Kehle und seinem Rachen zu kommen und hört sich an, als ob jemand einer Katze den Schwanz abkneift. Er hält vor Schreck den Atem an und liegt bewegungslos da. Dann schrillt die Stimme erneut los: jämmerlich, hoch, entsetzlich …
„Aufwachen, Herr Doktor Sommerfeldt! Ihre OP ist gut verlaufen, und die Ihrer Frau auch. Es geht ihr gut, hören Sie? Das Schwierigste ist geschafft. Jetzt sind Sie dran.“
Er versucht das Gesagte zu erfassen, aber die Schreie, der Schmerz und das Grauen branden immer weiter durch ihn hindurch und umspülen seine Gedärme, bis es ihn fast auseinanderreißt.
Eine Frau beugt sich über ihn und redet ihm gut zu. Er will ja selbst, dass es aufhört, aber es hört nicht auf.
Vorbei, denkt er, als die Schreie schließlich verstummt sind. Dann stemmt er mühsam die verklebten Lider hoch und sieht, dass er sich in einer durchsichtigen Welt aus Glas und Metall befindet, in der es klickt, summt, rattert, knistert, raschelt, fiept, zischt und röhrt. Dazwischen hört er ein paar andere Laute, offensichtlich menschliche Stimmen, allerdings dumpf und belegt, und wie durch eine Membran hindurch. Maschinen und Geräte, Pumpen und Röhren, Glasgefäße und Plastikbeutel, Schläuche und Katheter, Ventile und Verschlüsse überall … Nebenan liegt ein anderer Gestrandeter. Man sieht nur seine Nase aus dem Kissen ragen. An der Wand gegenüber hängt eine Uhr. Aber sie ist stehen geblieben. Ihre Zeiger rucken nicht mehr vorwärts.
Eine grün Vermummte befeuchtet seine Lippen und seinen Gaumen mit getränkten Stäbchen. Sie riechen säuerlich und schmecken widerlich. Er ist zu schwach, um dagegen zu protestieren.
Das muss er auch nicht, denn in diesem Moment fließen Traum und Wirklichkeit wieder im Niemandsland zusammen und alles wird gut.
Als René Stunden, Tage oder Ewigkeiten später erwachte, war es, als ob eine Planierraupe auf seinem Bauch hin und her rollen würde.
Irgendwer hob seinen Kopf hoch, benetzte sein Gesicht mit Wasser und drehte seinen Körper auf der Unterlage hin und her. Er wollte sich dagegen wehren, aber er konnte sich weder rühren noch sprechen. Seine Augen quollen ihm fast aus den Höhlen, als er es versuchte, und seine Hals- und Kaumuskeln zitterten und zuckten vor Anstrengung. Trotzdem brachte er keine einzige Bewegung zustande und kein einziges Wort heraus.
Die Schmerzen schlugen wie ein Ozean über ihm zusammen und rissen ihn mit sich. Sie waren unerträglich. So unerträglich, dass er glaubte, daran zu ersticken. So unerträglich, dass er nicht wusste, ob er sie unter der Rubrik „heiß glühend“, „hell pulsierend“, „scharf brausend“ oder „dumpf brüllend“ einordnen sollte. So unerträglich, dass ihm plötzlich die Ähnlichkeit zwischen Lust und Schmerz bewusst wurde. Beide zogen einen ganz und gar in ihren Bann, beide löschen sogar die Angst aus. So unerträglich, dass er sich von allen Geräten abstöpseln und sterben wollte. Nur die lächerliche Einsicht, dass er das auch früher und einfacher hätte haben können, hielt ihn davon ab. So unerträglich, dass er sich nach dem Paradies sehnte, und das bestand ausschließlich darin, dass der Schmerz aufhörte. So unerträglich, dass er flennte, bis er hustete, und hustete, bis er würgte. Was zur Folge hatte, dass es wieder von vorne losging: Irgendwer hob seinen Kopf hoch, benetzte sein Gesicht mit Wasser und drehte seinen Körper auf der Unterlage hin und her …
Wieder Stunden, Tage oder Ewigkeiten später: Er hatte plötzlich das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Als er die Augen öffnete, sah er, dass Claudi sich über ihn beugte. Sie hatte sich mit Kittel, Handschuhen, Mundschutz und Haube ausstaffiert, aber er erkannte sie sofort. Ihre Augen waren nass, und
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