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Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Titel: Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Steen
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an seinen Fettreserven und sorgte dafür, dass die Pfunde dahinschmolzen wie Butter in der Sonne. Er war immer noch wohlbeleibt, aber für seine Verhältnisse hatte er kräftig abgenommen. Und nachdem er seine Komfortzone erst mal verlassen hatte, änderte sich auch sein Charakter, hin zum Besseren. Er war für Claudia und René da, genau so, wie er es versprochen hatte. Er kaufte für sie ein, erledigte ihre Wäsche, kochte ihnen mehr oder weniger schmackhafte Gerichte, und vor allem nahm er ihnen Mia ab.
    Das war auch bitter nötig, denn neben den medizinischen gab es auch jede Menge häusliche und andere Vorkehrungen zu treffen.
    Wenn Claudia nicht in der Klinik war, stritt sie sich häufig mit Harald am Telefon. Er musste während der Auszeit ihre Arbeit mit übernehmen und war damit restlos überfordert. Das war schon während ihres Mutterschutzes so gewesen, aber jetzt belastete es sie weitaus mehr als damals. Zumal sie nebenher noch jede Menge Kunden vertrösten musste, die kein Verständnis dafür hatten, dass der gewohnte Service auf einmal ausblieb, und dementsprechend sauer oder entgeistert reagierten. Auch die Behörden- und Krankenkassenangelegenheiten mussten geregelt werden. Noch so eine Geschichte, über die sie sich im Vorfeld keine Gedanken gemacht hatte: die Erkenntnis, dass erst eine Flut von Papieren und Dokumenten einen Menschen zum Menschen machte. Manchmal war sie so im Stress, dass sie kaum noch ein und aus wusste.
    Was hatte sie mal in einem Zitatebuch gelesen? „Bevor Sie sich einer Operation unterziehen, regeln Sie besser Ihre Angelegenheiten. Sie könnten womöglich überleben.“ Welch wahres Wort.
    Die letzten drei Tage vor der LTX: René und sie sprachen mit Leo über banale Dinge wie Blumen gießen, Zeitung und Post aus dem Briefkasten holen und Mülltonnen an die Straße stellen. Über alles, was mit Mia zusammenhing, wusste er schon Bescheid. Zur Sicherheit stellten sie ihm noch Vollmachten für alles Mögliche aus. Dann packten sie ein paar Habseligkeiten zusammen und stellten ihre Taschen abfahrbereit neben die Haustür. Viel mitbringen sollten sie nicht, hatte die Klinik gesagt, denn alles, was sie in der nächsten Zeit brauchten, wurde ihnen dort gestellt.
    Zwei Tage vor der LTX: Sie verabschiedeten sich telefonisch von Tanja und den wenigen Bekannten, die sie in der Stadt hatten. Auch Chrissi und Olli riefen an, wünschten ihnen alles Gute und drückten ihnen die Daumen.
    Am Ende zogen sie den Telefonstecker heraus, schalteten ihre Mobiltelefone aus und gingen ihr letztes Projekt an: sich bewusst, intensiv und im Zeitraffertempo schöne Erinnerungen mit Mia zu verschaffen.
    Also fuhren sie ein letztes Mal mit ihr zum Ausflugslokal hinauf, aßen drei Kugeln Vanille am Eiscremestand und gingen dann auf den Kinderspielplatz, um dort Karussell zu fahren und auf Wipptierchen zu reiten. Dabei fotografierten sie sich gegenseitig, und obwohl die Bilder alle verwischt waren und zum Teil nur ihre Füße oder Pos zeigten, waren sie kostbare Momentaufnahmen, die sie nachher gleich auf ihren Laptops abspeichern wollten.
    Abends kuschelten sie zu dritt vor dem Fernseher und sahen Sissi III . Dieser Schmacht- und Schmollfetzen war normalerweise der blanke Horror für René, aber diesmal hielt er nicht nur still, sondern blickte seine Lieben auch die ganze Zeit mit Tränen in den Augen an.
    Anschließend nahmen sie Mia mit ins Ehebett und versuchten zu schlafen. Aber sie lagen fast die ganze Nacht wach da, hörten ihre Tochter atmen und starrten mit brennenden Augen in die Dunkelheit.
    Der letzte Tag vor der LTX: Morgens wollten René und sie gemeinsam zur Aufnahme fahren. Doch zunächst stand ihnen noch das Schwerste bevor: Sie mussten sich von ihrer Kleinen verabschieden.
    Das Loslassen war schlimm, viel schlimmer, als sie befürchtet hatten. Es schüttelte sie förmlich, als Leo gegen sechs Uhr morgens mit seiner Reisetasche vor der Tür stand, um bis auf Weiteres bei ihnen einzuziehen und Mias Ersatzvater zu spielen. Es würgte sie, es raubte ihnen den Verstand, es war nicht auszuhalten …
    Auf dem Weg zur Uniklinik wurde Claudia im Taxi von einem Weinkrampf geschüttelt, wie sie ihn noch nie erlebt hatte. Rau und stoßweise brach das Schluchzen aus ihr heraus, und es war ihr egal, dass René neben ihr saß und vor Angst fast verging. Sie dachte nur noch an Mia, ihre wunderschöne Tochter, dieses süße Menschenkind, dass René und das Leben ihr geschenkt hatten und das sie vielleicht

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