Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte
zu erreichen und zu leben.
Nach ein paar Wochen wurde er in die Gastroenterologische Klinik zurückverlegt, dem Ort, an dem alles angefangen hatte. Dort musste er endlich kein Büßerhemd mehr tragen, sondern durfte zum Mundschutz eine Gummizughose und einen Kittel tragen. Das war ein gewaltiger Fortschritt.
Doch, es ging allmählich aufwärts mit ihm. Er begann mit dem Krafttraining, legte jeden Tag eine Runde auf dem Trimmrad zurück und freute sich über seinen Muskelkater. Auch die Durchblutungsstörungen im Gehirn verschwanden, sodass er keinen Spickzettel mehr brauchte, wenn er jemanden mit Namen ansprechen wollte, und alle seine Wege auf Anhieb fand. Ohne Rollator, wohlgemerkt.
Aber dann war da plötzlich eine sonderbare Spannung in seinem Bauch, so, als ob jemand einen Fußball in ihm aufpumpte. Die Sache endete damit, dass Nils Wallin ihm sechs Liter Wasser aus dem Bauchraum und etwa einen Liter aus der Lunge abzapfte.
Und das passierte nicht nur einmal.
Trotzdem freute er sich, dass Claudi den Eingriff gut überstanden hatte und dass er seine kleine Maus jetzt wiedersehen konnte, auch wenn er weiter Abstand zu ihr halten musste. Alle waren unglaublich nett zu ihm, sogar Schwester Rabiata, die ihn sonst immer ansah wie einen jungen Hund, den man eigentlich mit der gerollten Sonntagszeitung verhauen müsste.
Einmal kamen Tanja und die Jungs ihn besuchen, und das machte ihn glücklich. Er hing an seiner „Zweitfamilie“, auch wenn er das niemals laut zugeben würde.
Auch Tanja schien froh zu sein, ihn wiederzusehen, aber sie ließ sich ihre Ergriffenheit nicht anmerken und flachste die ganze Zeit mit ihm herum. Nur beim Abschied sagte sie etwas Denkwürdiges zu ihm, und das waren Worte, die René ihr gar nicht zugetraut hätte und die ihn nachdenklich machten, ja fast berauschten.
„Jetzt hast du wenigstens ein paar weibliche Gene im Leib, auch wenn du weiter ein XY-Träger bist“, sagte sie. „Das ist ein seltenes Privileg, mein Lieber. Mach was draus.“ Dann grinste sie spöttisch, scheuchte die Jungs hoch und verschwand mit einem betont lässigen Winken im Flur.
Kaum war sie weg, tastete René seinen Bauch ab und legte seine Hand auf die Stelle, an der Claudis und sein Gewebe miteinander vernäht worden waren. Tanja hatte recht. Claudi und er waren jetzt „ein Fleisch“ und „ein Blut“, im wahrsten Sinne des Wortes. Er war eine Art Hermaphrodit, ein Doppelgeschöpf, ein Zwitter, ein Mittelding zwischen Mann und Frau, kurzum: ein Mannweib . Das war eine äußerst interessante Vorstellung, die ihn sicher noch lange beschäftigen würde.
Er wäre so gern mit Claudis Leberhälfte in Kontakt getreten, aber wie üblich reagierte sie nicht auf seine Avancen. Sie tat einfach nur ihre Arbeit.
Am Tag der Entlassung bekam er von Doktor Wallin in einer feierlichen Zeremonie seine Papiere überreicht.
„Herzlichen Glückwunsch, Doktor Sommerfeld“, sagte der Arzt. „Ihre neue Leber funktioniert hervorragend. Es deutet alles darauf hin, dass die LTX ein voller Erfolg war.“
„Ganz ehrlich: Das hätte ich nie gedacht“, sagte René. „Dass alles gut ausgeht, meine ich.“
„Ihre Aussichten sind mehr als gut. Sie haben jetzt deutlich an Lebensqualität und Lebenszeit gewonnen.“
René hielt seine Papiere, dieses läppische, kümmerliche und zugleich höchst bedeutsame Schreiben in den Fingern und spürte, wie ihm das Wasser in die Augen schoss.
Soeben war er vom Patienten zum Menschen befördert worden, und das war ein unvergleichliches Gefühl.
„Vielen Dank, Doktor Wallin“, sagte er. „Und das gilt vor allem Ihnen persönlich. Ich weiß gar nicht, was ich ohne Sie gemacht hätte.“
„Danken Sie nicht mir, sondern den chirurgischen Kollegen und vor allem Ihrer Frau“, sagte Nils Wallin, der ebenfalls bis in die Knochen ergriffen war und sich nach Kräften bemühte, das zu verbergen.
Da schluchzte Claudi auf, warf sich ihm an den Hals und sagte: „Wir haben uns immer so gut bei Ihnen aufgehoben gefühlt, und ich mag mich gar nicht von Ihnen trennen.“
„Wir sehen uns doch bei den Kontrolluntersuchungen wieder“, sagte er hilflos.
„Trotzdem“, sagte sie, und während sie an seinem Nacken hing, quoll eine wahre Springflut aus ihren Augen und ergoss sich auf die Schulterpartie seines frisch gestärkten Kittels. Sie schluchzte wie damals, als René und sie sich auf den Flughäfen und Bahnhöfen dieser Welt verabschieden mussten.
Doch, der Abschied von Nils Wallin fiel
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