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Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Titel: Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Steen
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vor sich hin und überlegte, wo sie den Kram in Zukunft unterbringen sollten.
    Im vierten Karton fand René endlich einen Brief von Tanja. Genau genommen handelte es sich nur um eine Botschaft auf der Rückseite einer Quittung. Er las den Text laut vor. Der bestand aus ganzen sieben Wörtern, hatte keine Anrede und keine Unterschrift und lautete schlicht: „Nun krieg dich mal wieder ein, Brüderchen.“
    „Mehr steht da nicht?“, fragte Claudia.
    „Mehr ist auch nicht nötig“, sagte er.

Kapitel 19: Vor acht Tagen
     
    Am Samstagvormittag machte Claudia sich mit ihrer Familie auf den Weg, um einen Teil der tonnenschweren Aktenfracht zu entsorgen, die sie über Renés Krankheit angehäuft hatte. Es war ein herrliches Gefühl, die Unterlagen auf dem Bahnhofsvorplatz in einen Container zu stopfen und dann mit dumpfen Geräuschen auf dem Boden aufprallen zu hören. Rums, weg, rums, weg, rums, weg … Das Ganze hatte etwas von einem Akt der Befreiung an sich.
    Danach wollten René und sie den Platz wieder verlassen, aber ein junger Mann, ein schräger Typ mit Baggy Pants, Rastazöpfen und verkehrt herum aufgesetztem Basecape, versuchte sie daran zu hindern.
    „Hey Schwester, brauchst du vielleicht Hilfe“, fragte er und tänzelte mit schlenkernden Armen und Beinen vor Claudia herum. Die ging mit ihrer Kinderkarre weiter stur geradeaus und tat so, als würde sie ihn nicht beachten.
    Also versuchte er es bei René: „Hey Bruder, wie ist es mit dir?“
    „Nein danke“, sagte der.
    „Bist du sicher?“
    „Sicher ist er sicher“, rief Claudia ihm schnippisch über die Schulter zu. „Sieht er etwa so aus, als ob er es nötig hätte?“
    „Ehrlich gesagt ja“, sagte der Typ und grinste sie frech an.
    „Das ist aber nicht so, und jetzt hau ab!“
    „Alles klar“, sagte er und hob lachend die Hände. „Vielleicht irgendwann später.“
    „Es gibt kein Später“, sagte sie wütend und ging weiter. Dann drehte sie sich zu René um, atmete tief durch und sagte: „Der spinnt wohl. Jetzt werden hier sogar schon Familien mit Kleinkindern angequatscht. Was sagst du dazu!?“
    Er sagte lieber nichts dazu.
    „René, was wollte dieser Mann von uns?“, fragte sie.
    „Nichts“, sagte er. „Die labern einen doch alle naslang an.“
    „Und sonst ist da nichts?“
    „Was sollte da denn sein?“
    „Ich muss mir also keine Sorgen um dich machen? Du bist nicht wieder auf die schiefe Bahn geraten?“
    „Wenn ich es dir doch sage, Claudi. Ich brauch das Zeug nicht mehr. Warum glaubst du mir denn nicht?“
    „Hey René“, rief der Typ in diesem Moment hinter ihnen her. „Grüß Frank von mir und sag ihm, dass er ich seine neue Adresse noch brauche. Meine Nummer hast du ja.“
    Da ließ Claudia ihren Liebsten stehen und ging weiter, immer weiter geradeaus. Bisher war ihr noch nie aufgefallen, wie kahl und leer der Bahnhofsvorplatz um diese Zeit war. Wenn man ihn überquerte, befand man sich sozusagen auf dem Präsentierteller, und jeder konnte einen sehen und erkennen.
    Als René sie eingeholt hatte, hielt er sie am Ärmel fest und sagte: „Ich weiß, was du jetzt von mir denkst, Claudi. Aber das ist alles Vergangenheit, das ist alles aus und vorbei … Okay, ich geb’s zu: Früher hab ich gekifft wie ein Blöder. Aber dann ist es mir selbst zu viel geworden, und seit der OP hab ich damit nichts mehr am Hut. Ich schwör’s dir.“
    Sie schwieg. Was hätte sie auch sagen sollen, wo sie ihm kein Wort glaubte!? Andererseits … Was hatte er schon groß verbrochen? Er rauchte Gras. Na und? Das taten viele. Im Amiland war das Zeug ein gängiges Schmerzmittel, denn es wirkte entspannend, angstlösend und entzündungshemmend. Warum gönnte sie ihm das nicht? Warum wollte sie ihm sein bisschen Medizin auch noch madigmachen? Er hatte doch sonst nichts, auf das er zurückgreifen konnte.
    Ach, es war alles so … argh!
    Wenig später trafen René und sie sich mit Chrissi und Olli in der Fußgängerzone. Die beiden hatten vor ein paar Monaten beschlossen, dem Lebergesprächskreis eine neue Dimension hinzuzufügen. Immer nur in Lokalen herumzuhängen und sich gegenseitig sein Leid zu klagen war nicht genug. Damit würden sie die allgemeine Bereitschaft der Bevölkerung zur Organspende niemals steigern. Wenn sich jemals etwas an dem Status quo ändern sollte, mussten sie in größeren Zusammenhängen denken.
    Seitdem bauten sie jeden zweiten Samstag ihren selbst gezimmerten Infostand in der brechend vollen Innenstadt auf und

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