Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
üblich?«
»Ich hörte von ihnen, daß es löblich sei, den König zu töten.«
»Warum?«
»Weil er außerhalb der Kirche stehe. Deshalb müsse man ihm nicht gehorchen noch ihn als König ansehen, solange er vom Papst nicht absolviert sei, was aber niemals geschehen werde.«
Hier klopfte es, und ein Bote überbrachte Lugoli den Gerichtsbefehl, er solle den Gefangenen in die Conciergerie des Justizpalastes zum Verhör bringen. Lugoli hieß den Schreiber eine Kopie des Verhörprotokolls anfertigen, damit es dem Richter gleichzeitig mit Jean Chatel überstellt werde. Dann nahm er mich beiseite.
»Ich habe die Jesuiten sofort festsetzen lassen, nachdem ich im Louvre hörte, daß Chatel bei ihnen studiert hat. Ich gehe jetzt ins Collège de Clermont. Kommt Ihr mit? Jetzt sind die großen Beichtiger dran, zu beichten.«
»Wollt Ihr sie verhören?« fragte ich ihn unterwegs.
»Ohne Gerichtsorder darf ich das nicht. Bisher sind sie nur verdächtig. Außerdem, wer weiß, ob man mehr aus ihnen herausbekommt als herzzerreißende Seufzer und Märtyrergrimassen, nach dem Motto: Was können wir dafür, daß der unglückliche Junge so verdrehten Sinnes ist?«
»Was ja stimmt«, sagte ich, »nur daß er seine Verdrehtheit ihnen verdankt. Es hätte eines solideren Hirns als dieses schmächtigen Knaben bedurft, um dem Mahlwerk standzuhalten, dem er in der Klasse des Paters Guéret wie in der Kammer der Meditation unterworfen wurde. Mein Gott! Wenn ich bedenke, daß man ihm eingeredet hat, er sei verdammt wegen ein paar Schwulheiten, die er sich nicht zu beichten getraute! Nachdem man ihn so in Schrecken versetzt hatte, war es doch ein Kinderspiel, ihm zu suggerieren, er könne sich durch eine ›große Tat‹ zum Nutzen der katholischen Kirche freikaufen!«
»Ja, im Suggerieren, Nicht-ausdrücklich-Sagen«, versetzte Lugoli zähneknirschend, »darin sind die Jesuiten Meister! Niemand hat ihm gesagt, ›zwei und zwei sind vier‹. Die Addition überließ man ihm, und die guten Patres sind weiß wie Schnee!«
»Aber, Lugoli«, sagte ich, als wir in die Rue Saint-Jacques einbogen, »wie wollt Ihr die Jesuiten befragen, wenn Ihr sie nicht verhören dürft?«
»Indem ich ihre Zellen und ihre Papiere durchsuche. Könnt Ihr Latein, Monsieur de Siorac?«
»Einigermaßen gut.«
»Und ich einigermaßen schlecht. Ihr könntet mir eine große Hilfe sein, falls Euch die Aufgabe lockt.«
»Ha, Leser! Und ob sie mich lockte! Meinen letzten Taler hätte ich drangegeben für das fabelhafte Vorrecht, die Papiere dieser Leute zu durchstöbern!
Gleichwohl, in der Zelle des Paters Guéret, die wir als erste durchsuchten, sowohl, weil er unter den Jesuiten eine Art Prior oder Abt war, als auch, weil er Jean Chatel die bekannte Philosophie gelehrt hatte, fanden wir nichts, was ihn hätte belasten können, und auch in den zehn weiteren Zellen nicht, die von zwei Sergeanten und Lugoli persönlich sehr gewissenhaft durchforscht wurden, ohne daß ich einen Finger dabei rührte, weil das eine Geschicklichkeit erfordert, die mir abgeht.
»Lugoli«, sagte ich, ihn beiseite ziehend. »Haben wir beim Oberst nichts gefunden, ist bei den Soldaten auch nicht viel zu hoffen. Aber vielleicht haben wir beim Hauptmann mehr Glück?«
»Wen meint Ihr damit?«
»Pater Guignard.«
»Wer ist das, Pater Guignard?«
»Jener Pater, der uns hierselbst die schöne Geschichte vom Rubin der Krone erzählte, den man einer bedürftigen, kinderreichen Witwe abgekauft habe.«
»Und was bringt Euch auf die Idee, daß Guignard hier eine Art Hauptmann ist?« fragte Lugoli, seiner eingefleischten Gewohnheit zu verhören folgend.
»Die Schamlosigkeit dieser Fabel. Die Unverfrorenheit ihres Erfinders. Die Tatsache, daß er versucht hat, Catherine de Guise, deren Beichtvater er ist, in einer Weise zu beeinflussen, daß die Einigung des Königs mit dem jungen Guise hinausgezögert wurde.«
»Aha!« sagte Lugoli, »wenn er so ein Tier ist, sehen wir uns seinen Bau an!«
Und dieser Bau enttäuschte uns wahrlich nicht, denn in einerLade, die nichts Geheimes hatte, fanden wir, was wir suchten, nicht einmal lateinisch geschrieben, sondern französisch, und in einem guten Französisch. Denn Pater Guignard besaß Stil und hatte wohl die Schwäche gehabt, damit glänzen zu wollen, indem er schriftlich niederlegte, was die anderen Patres lediglich dachten und sagten.
Hier nun das Fundstück, und der Leser wird einräumen, daß es nicht übel geschliffen ist, sei es auch in
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