Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
abschließe, sei es auch um den Preis eines Verzichts – und nicht mit den Reimsern.«
»Und warum haben Sie die Begegnung Rousselet – Rosny durch eine offensichtliche Lüge um einen Tag verzögert?«
»Damit Rosny nicht versucht werde, mit den Reimsern abzuschließen anstatt mit Guise.«
»Womit Sie also den Reimsern geschadet haben?«
»Nein! Denn nun erfährt der König von ihren löblichen Absichten und wird ihnen die begehrten Freiheiten gewähren.«
»Aber, Monsieur, wäre es nicht das Interesse des Königs, mit den Reimsern zu verhandeln? Es würde seiner Schatulle einen Aderlaß von vierhunderttausend Ecus ersparen.«
»Bravo, Madame, bravo! Sie sind nicht nur schön, Sie sind auch klug und legen den Finger an den einzigen Umstand, der mich hatte zaudern lassen. Doch nicht lange! Denn bedenken Sie bitte, schöne Leserin, vierhunderttausend Ecus sind wenig, sehr wenig, im Vergleich mit dem, was uns die schöne Gabrielle kostet und noch kosten wird, und ohne anderen Nutzen für das Reich, als Seine Majestät in Freuden zu erhalten. Was mich angeht, behaupte ich sogar, daß vierhunderttausend Ecus ein sehr niedriger Preis für die Unterwerfung des Herzogs von Guise unter den König sind.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Weil diese Unterwerfung ein politischer Akt von großer Bedeutsamkeit und großer Wirkung ist, in Frankreich sowohl wie in Spanien und im Vatikan. Ha, Madame, bedenken Sie, welch eine Ohrfeige es ist für Mayenne, daß sein Neffe ihn aufgibt, um sich dem König anzuschließen! Eine Ohrfeige für Philipp II., daß Guise – Guise, Madame, dieser machtvolle Name, nahezu gleichbedeutend mit der Heiligen Liga und mit der spanischen Allianz! – sich einigt mit dem Béarnaiser! Und eine Warnung an den Vatikan, daß er endlich aufhören möge, den König um Absolution betteln zu lassen.«
»Monsieur, ich glaube, Sie haben daran einen entscheidenden Anteil.«
»Ich, Madame, und Rousselet, und Rosny, und Péricard.«
»Sieh an! Auf einmal so bescheiden? Das ist mir neu!«
»Sie spotten, Madame! Indessen ist meine Bescheidenheit nicht vorgetäuscht. Ich meine damit nur, daß es in der Geschichte keinen noch so kleinen Akteur gibt, der durch seinen Geist, oder seine Blindheit, oder einfach durch glücklichen Zufall, nicht in ein Geschehen eingreifen kann, dessen unkalkulierbareKonsequenzen ihm völlig fern sind. Dafür nur zwei Beispiele: Eines sommerlichen Nachmittags, als es sehr heiß war, erging sich Rosny im Wald vor Laon, und durch diesen Spazierritt rettete er den König von Frankreich vor der Unehre, von Mansfeld gefangengenommen oder gar getötet zu werden, während er Pflaumen aß. Hinwiederum verdankte mein geliebter Herr Heinrich III. seinen Tod der unfaßlichen Dummheit des Generalprokurators La Guesle, der ihm Jacques Clément zuführte, ohne daran zu denken, ihn vorher zu durchsuchen. Und derselbe La Guesle hat seine fabelhafte Begriffsstutzigkeit soeben zum zweitenmal bewiesen, als er sich für die Vertagung des Jesuitenpozesses stark machte. Beim Ochsenhorn! Wenn seine Dämlichkeit den Tod Henri Quatres nach sich ziehen sollte, erschlage ich den Esel mit eigener Hand!«
Diesen blutigen Fluch – der ganz gegen meine Philosophie und meine Natur ist – entriß mir die Entrüstung. Ich entsann mich seiner ein Vierteljahr später, an jenem Tag, als der König von einer Reise durch die Picardie wiederkehrte, aus jenen Städten nämlich, die sich ihm ergeben hatten. Erst zur Nacht traf er in Paris an, im Fackelschein, begleitet von fünfzig Berittenen und ebensoviel Fußvolk. Bei seinem Einzug befand ich mich zufällig in der Rue de l’Autruche und folgte ihm bis zum Louvre, wo niemand – wahrscheinlich wegen der späten Stunde, der schwankenden Lichter und des Tohuwabohus –, niemand mich fragte, wer ich sei. So gelangte ich in seinem Gefolge bis in einen Saal im Louvre und versuchte, mich zu ihm vorzudrängen, was nicht einfach war, der Zustrom von Edelleuten war sehr groß. So tüchtig ich meine Ellenbogen gebrauchte, konnte ich den König doch nur über das Gewoge der Köpfe und Schultern hinweg und jeweils nur für Momente erblicken. Einmal aber sah ich ihn ganz, wie er noch in seinen hohen Stiefeln und Pelzhandschuhen (je ner Dezember war bitterkalt) dastand und mit seiner Närrin Mathurine scherzte – einer sehr geistreichen kleinen Mißgestalt, die er lachend an sich drückte. Als ich mich, nicht ohne Schubse und Püffe auszuteilen und zu empfangen, weiter zu
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