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Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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ihm durchkämpfte, sah ich die Herren de Ragny und de Montigny sich dem König nähern und vor ihm zum Handkuß niederfallen. Der König neigte sich mit seiner gewohnten Leutseligkeit, sie aufzuheben, wobei ich ihn aus dem Auge verlor, und als ich ihn eineSekunde darauf wiedersah, blutete sein Mund auf der rechten Seite. Er fuhr sich mit der Hand an die Lippe, und da er sie blutig zurückzog, schimpfte er auf Mathurine.
    »Zum Teufel mit der Närrin!« rief er. »Sie hat mich verletzt!«
    »Nein, Sire! Ich war es nicht!«
    Es entstand große Bestürzung und großes Hin und Her unter den Anwesenden, als sie das Gesicht des Königs plötzlich blutverschmiert sahen. Die einen schrien, andere waren stumm und kreidebleich wie Monsieur de Rosny, alle aber starr vor Schrecken und wie gelähmt. Wenn der Attentäter jetzt sein Messer zu Boden hätte fallen lassen – was er tat – und still wie alle geblieben wäre – was er nicht tat –, wäre er vielleicht unentdeckt geblieben. Doch er wollte flüchten, und seine Hast fortzukommen verriet ihn. Zwei Schritt vor der Saaltür wurde er von Pierre de Lugoli ergriffen, der seine Hast und Wirrnis sah, ihn verhörte, Namen und Stand erfragte und, obwohl er zuerst leugnete, ihn des Attentats überführte.
    Ich konnte den Schuldigen gut sehen. Es war ein junger Bursche, noch keine zwanzig, klein, schmächtig, hohlbrüstig, mit roten Lippen, sehr gut gekleidet, überhaupt nicht schäbig, aber für mein Gefühl eher schwul als der Weiblichkeit zugetan. Von Lugoli mit Fragen bedrängt, gestand er, die Augen gesenkt und mit leiser, bebender Stimme, er heiße Jean Chatel und sei der Sohn eines Tuchhändlers.
    Inzwischen hatte der königliche Arzt die Wunde untersucht und erklärte sie für harmlos; es war nur die Oberlippe Seiner Majestät verletzt und ein wenig von einem Zahn abgebrochen, gegen den das Messer geprallt war. Man beruhigte sich, doch lag Entsetzen noch in dieser Beruhigung, denn es war klar, daß der Mörder, im Glauben, der König trage ein Kettenhemd unterm Wams, auf seine Kehle gezielt haben mußte – was er dann auch gestand. Daß er nicht getroffen hatte, lag nur daran, daß der König im selben Moment, da der Stoß geführt wurde, sich vorgebeugt hatte, um Ragny und Montigny vom Kniefall aufzuheben.
    Indessen sprachen die anwesenden Edelleute wenig, denn sie wußten nicht, sollten sie sich freuen, den König heil zu sehen, oder sich entsetzen, daß sie ihn beinahe verloren hätten. Dieses halbe Schweigen wurde jedoch jählings ein ganz anderes Schweigen, als Jean Chatel auf Lugolis Frage gestand, daß er inden vergangenen drei Jahren bei den Jesuiten studiert hatte. Wie ich nun beobachtete, wurde diese Stille, je länger sie anhielt, um so bedrohlicher, überall begegnete man nur mehr entflammten Blicken, zusammengebissenen Zähnen, Händen, die sich um den Degenknauf krampften. Und, Leser, was glaubst du, was der König tat inmitten dieses anwachsenden Zorns? Er witzelte. Obwohl die Oberlippe ihn beim Sprechen schmerzen mußte, sprach er ganz ruhig, wie im Scherz, aber scherzend in einer Weise, daß an seiner Meinung kein Zweifel blieb.
    »Es wollte so vielen angesehenen Leuten nicht über die Lippen, daß die Jesuiten mich nicht lieben. Sie mußten wohl durch meine Lippe erst überzeugt werden.«
     
    Als der König diese zugleich witzigen und hintersinnigen Worte sprach, schien der Sturm sich in allgemeine Erleichterung aufzulösen. Und als ich sah, daß Pierre de Lugoli seinen Gefangenen abführte, beschloß ich, ihm zu folgen, dachte ich beim ersten Verhör des Unseligen doch mehr für meine Mission zu gewinnen, als wenn ich im Louvre blieb.
    Zunächst folgte ich Pierre de Lugoli in einigem Abstand, doch hatte er mich schon erspäht und ließ mir durch einen seiner Leute ausrichten, ich solle zu seinem Haus gehen, dort meine Verkleidung als Vogteisergeant anlegen und dann mit dem Mann zur Bastille kommen, wobei ich mich nicht zu beeilen brauchte, er lasse dem Gefangenen erst Brot und Wein vorsetzen, ehe er mit dem Verhör beginne.
    Was er dann tat, ohne Gewalt anzuwenden, ohne Drohungen und Folter, in ruhigem, beinahe liebevollem Ton, gewiß weil er meinte, daß Jean Chatel eher antworten werde, wenn man ihm einiges Mitgefühl entgegenbrachte – das übrigens bei Lugoli, wette ich, nicht pure Berechnung war, schließlich war der Täter noch so jung und zart und hatte noch so grausame Leiden vor sich, bis er Ruhe fände im Tod.
    »Du sagtest mir im Louvre«,

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