Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
ich die Hälfte verschüttete.
Indessen wanderten Vincentis Augen zwischen La Surie und mir hin und her, und mir kam der Verdacht, daß Giustiniani ihm die Aufgabe, uns über die Gesandtschaft des Papstneffen zu informieren, nur anvertraut habe, um die Reaktionen der französischen Edelleute zu beobachten, die ja wohl die ihres Herrn Henri Quatre widerspiegeln mußten. Wenn das der Fall war, dürfte Vincenti, dachte ich, von der Heftigkeit unserer Erregung höchlich erbaut sein. Und wir brauchten nicht einen Ton mehr hinzuzusetzen: Unser törichter Zorn hatte für uns gesprochen und würde Giustiniani zweifellos hinterbracht werden und mithin dem Heiligen Vater.
Nachdem Vincenti gegangen war, faßte ich Miroul beim Arm und zog ihn mit in den Garten, wohin uns der erste Sonnenstrahl seit einem Monat rief.
»Der Papst faselt!« sagte La Surie zähneknirschend, als wir die zypressengesäumte Allee betraten. »Um mit Philipp Frieden zu schließen, soll Henri seine Bündnisse aufkündigen, die ihm ja gerade helfen, sich gegen ihn zu verteidigen!«
»Laß, Miroul«, sagte ich. »Der Papst unterhandelt, sucht, tastet. Wahrscheinlich will er Philipp die Idee von Henris Absolution schmackhaft machen, indem er ihn mit der Hoffnung auf einen vorteilhaften Frieden lockt. Auf jeden Fall, Miroul, ist es an der Zeit, denke ich, daß du nach Frankreich gehst und den König unterrichtest. Denn ich empfände es sehr kränkend für Seine Majestät, wenn er Monseigneur Du Perron nach Rom entsenden würde, während Giovanni Francesco in Madrid ist.«
»Dasselbe dachte ich auch«, sagte La Surie, doch mit sehr betrübter Miene, so widerstrebte es ihm, mich zu verlassen. »Aber ist dir auch klar, mein Lieber, daß, wenn ich nach Paris gehe,unmittelbar nachdem Giovanni Francesco nach Madrid abgereist ist, der Herzog von Sessa schlußfolgern wird, daß du der geheime Unterhändler zwischen Henri und dem Papst bist? Und dann magst du den Lebemann spielen, wie du willst – du wirst in großer Gefahr sein, ohne daß ich dir zur Seite stehen kann.«
Worauf ich meinen Miroul in die Arme schloß, klopfenden Herzens und bewegt von seiner unwandelbaren Liebe.
Um seine Abreise zu vertuschen, faßte er einen geschickten Plan, den wir Punkt für Punkt ausführten: Ich mietete eine Kutsche, und verborgen in dieser Kutsche, fuhren wir gemeinsam bis Florenz, wo wir acht Tage verweilten und die Stadt sowie umliegende toskanische Städte besichtigten. Dann brach La Surie bei Nacht mit unserer halben Eskorte nach Frankreich auf, im Mantelsack zwei Briefe von mir, einen an Angelina und einen an meine liebe Herzogin. Mit der anderen Hälfte der Männer kehrte ich, wiederum in der Kutsche und hinter geschlossenen Vorhängen, nach Rom zurück, wo ich erst bei geschlossenem Tor in meinem Hof ausstieg.
Hierauf hielt ich in meinem Kardinalspalast zehn Tage strenge Klausur, die ein unaufhörlicher Regen mir bedeutend erleichterte, der zudem meinen bestallten Bettler vom Torstein vertrieb.
Als endlich die Sonne wiederkam und ich meinte, Miroul zehn Tage Vorsprung vor möglichen Verfolgern gegeben zu haben, ging ich wieder aus. Und der erste, den ich erblickte, war Alfonso della Strada, der in seinen Lumpen majestätisch auf meinem Torstein saß, die Rechte um seinen Stock geschlossen, das Kinn auf dem Handrücken und den Blick so nach innen gekehrt in seinem Denken an die Ewigkeit, daß er gar nicht auf seine ausgestreckte Linke achtete, in die ich trotzdem meine Gabe legte.
»Oh, Signor Marchese«, sagte er mit feierlicher Miene, »er laubt dem demütigsten Eurer Diener, Euch seinen Dank auszusprechen für dieses Almosen, das Ihr gemäß den zehn Regentagen zu erhöhen geruhtet, in denen ich verhindert war, Eure Tür zu zieren und zu bewachen. Ihr beweist damit
una meravigliosa delicatezza
1 .«
»Alfonso«, sagte ich, »es freut mich um so mehr, dich wiederzusehen, als ich schon fürchtete, du seist krank geworden.«
»Nein, Signor Marchese. Aber wenn es regnet oder die Sonne zu heiß brennt, ziehe ich es vor, auf meinem Lager zu meditieren statt auf der Straße. Trotzdem«, fuhr er fort, »habe ich letzten Dienstag ein Nachlassen des Regens genutzt, die Pasticciera zu besuchen.«
»So gut bist du mit ihr bekannt?« fragte ich schmunzelnd.
»Sie ist meine Cousine«, sagte er in einem Ton großartiger Schlichtheit, so als hätte er mitgeteilt, der Papst sei sein Onkel.
»Alfonso«, sagte ich, »meine Gratulation, daß du in deiner Familie eine so
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