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Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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mir den Kardinalspalast vermietet hatte, und weil La Surie und ich uns eben zu Tisch setzen wollten, lud ich ihn ein zu unserem Mahl, wofür er sich mit einer Fülle von Floskeln und Formeln bedankte, die kein französischer Höfling gegenüber seinem König hätte aufbieten können.
    Da die Pagen uns die Gerichte auftrugen, befragte mich Vincenti mit seinen beredten Äuglein, ob er trotzdem unverhohlen sprechen könne, was ich bejahte.
    »Signor Marchese«, sagte er dann, »Seine Eminenz läßt Euch durch mich eine wichtige Nachricht zukommen: Der Neffe des Papstes, Giovanni Francesco Aldobrandini, ist soeben in außerordentlicher Gesandtschaft nach Madrid aufgebrochen.«
    »Und«, fragte ich, »weiß man, um was es sich bei dieser Gesandtschaft handelt?«
    »Die Diplomatie des Vatikans ist geheim«, sagte lächelnd Vincenti, »man ist also rein auf Vermutungen angewiesen.«
    »Wie lauten diese?«
    »Es gibt siebzig Kardinäle in Rom, Signor Marchese, wollte man sie alle befragen, erhielte man höchst unterschiedliche Antworten, vorausgesetzt, sie antworten.«
    »Signor Vincenti!« sagte ich lächelnd, »bitte vergeßt nicht, daß der Himmel die Franzosen nicht mit soviel Finesse gesegnet hat wie die Italiener.«
    »Signor Marchese«, sagte Vincenti, sich verneigend, »wenn ich Euch und Monsieur de La Surie sehe, kann ich das wahrlich nicht glauben. Doch ich beginne.«
    »Und bitte, seid so gut und macht es recht einfach«, sagte La Surie.
    »Ich werde mich bemühen«, wieder lächelte Vincenti und verneigte sich gegen mich und La Surie. »Die am häufigsten geäußerte Vermutung – vielleicht auf gewollte Indiskretionendes Vatikans gestützt – lautet, daß Giovanni Francesco mit Philipp II. über die Lage in Ungarn sprechen wird, die den Papst außerordentlich bekümmert, weil sie für die Christenheit doppelte Gefahr bedeutet.«
    »Doppelte?« fragte ich. »Reicht es nicht schon, daß die Türken den größten Teil Ungarns besetzt halten?«
    »Damit nicht genug«, entgegnete Vincenti und verschränkte die Hände. »Weit entfernt, den Islam einzuführen, begünstigen die Türken in den besetzten Gebieten teuflischerweise den Calvinismus. Damit ziehen sie die protestantischen Ungarn auf ihre Seite, und der Unabhängigkeitskrieg wird zum Religionskrieg. Machiavelli hätte es nicht schlauer anfangen können.«
    »Demnach wird Giovanni Francesco Philipp II. also anflehen«, sagte ich, »die katholischen Ungarn mit Waffenhilfe und Gold zu unterstützen.«
    »Sicherlich!« sagte Vincenti. »Aber Philipp kann nicht alle gleichzeitig bekämpfen: die englischen Piraten im Atlantik, die türkischen Piraten im Mittelmeer, die Calvinisten in Ungarn, die Geusen in Flandern und die Franzosen in Frankreich.«
    »Mit anderen Worten«, sagte La Surie, »Philipp hat mehr angebissen, als er verdauen kann.«
    »Was eine weitere Vermutung nährt«, sagte Vincenti.
    »Nur eine?« fragte La Surie. »Und die siebzig Vermutungen der siebzig Kardinäle?«
    »Nun werft mir bitte nicht vor, Signore, daß ich Euch zu Gefallen meine florentinische Finesse dämpfte.«
    »Italienische, hatte ich gesagt«, warf ich lachend ein.
    »Die Italiener haben ihre Finesse aus Florenz«, konterte Vincenti, ebenfalls lachend.
» Bene.
Die weitere Vermutung also lautet, daß der Papst Philipp II. ein Arrangement vorschlagen wird: Demnach hätte Giovanni Francesco zu erfragen, unter welchen Bedingungen Philipp mit dem Fürsten von Béarn Frieden schließen würde, und dann würde der Papst Euren Henri zur Annahme dieser Bedingungen bewegen.«
    »Und dafür«, meinte ich mit einem verdatterten Blick zu La Surie, »würde der Papst ihn absolvieren?«
    » Si
, Signor Marchese«, sagte Vincenti. »Unter der Bedingung allerdings, daß Frankreich seine Allianz mit den Türken aufgibt und seinen Bündnissen mit den Ketzern entsagt: also mit England, Holland und den lutherischen deutschen Fürsten.«
    »Beim Ochsenhorn!« platzte es aus La Surie heraus.
    »Ich traue meinen Ohren nicht«, sagte ich, bemüht, meine bebende Entrüstung zu zügeln. »Henri sollte alle seine Allianzen über Bord werfen und obendrein noch froh sein, daß Spanien ihm das Gesetz diktiert!«
    Mehr durfte ich nicht sagen, es wäre zuviel gewesen, und wie ich sah, kochte auch La Surie vor Zorn, denn brüsk stand er auf vom Tisch und marschierte, die Hände auf dem Rücken, durch den Raum. Und als ich mir zur Beruhigung Wein nachschenken wollte, zitterte meine Hand derart vor Erregung, daß

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