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Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Montpellier zu erinnern.«
    »Das war etwas anderes, die Thomassine habe ich nicht bezahlt. Wenn ich mich recht entsinne, war sie es, die mich aushielt.«
    »Damals wart Ihr fünfzehn und trugt den Lenz auf den Wangen. Mit grauen Haaren kostet die Liebe.«
    »Unsinn«, sagte ich pikiert. »Die hohe Dame, auf die du anspielst, kostet mich gar nichts.«
    »Außer schrecklichem Herzklopfen dann und wann.«
    »Wer wirft denn Herz und Beutel in eins?«
    »Und Ihr habt wer weiß wie viele Ringe und Armbänder an wer weiß wie viele Mädchen verschenkt.«
    »Aber freiwillig.«
    »So freiwillig nicht: Denkt an die Gavachette, an Babette und einige andere!«
    »Papperlapapp!«
    »Würde man all das zusammenrechnen, es ergäbe einen hübschen Batzen.«
    »Miroul, diese Geschenke machten mir Freude und ebenso denen, die sie empfingen. Aber den Gebrauch eines Körpers zu kaufen, Ecus auf die Hand gezählt, ach pfui!«
    »Also nichts mit Teigkneten bei der Pasticciera! Und für mich«, setzte er leise hinzu, »keine Cousine!«
    »Bedauerst du das sehr, Miroul?«
    »Und wie!« sagte er nicht ohne Schärfe. »Aber so geht’s einem, wenn man Junker ist! Jedenfalls ist mein Ehrgefühl nicht so kitzlig wie Eures.«
    Unser Weg führte uns meist durch eine Straße, wo sich, so hieß es, um vier Uhr die schönsten Frauen Roms an ihren Fenstern zeigten. Bislang aber mußte ich die genaue Stunde stets verpaßt haben, denn nie hatte ich dort so viele Menschen angetroffen wie heute, ob zu Fuß oder zu Pferde oder in Kutschen – deren Verdeck trotz der Kälte aufgeschlagen war –, und fast ausschließlich Männer. Sie standen oder schlichen wie Schildkröten und hatten nur Augen für die Fenster ringsum, die tatsächlich, als die Turmuhr der nahen Kirche vier schlug, alle nahezu gleichzeitig aufgingen, und da sah man denn Damenmit unverhülltem Gesicht und prächtig geschmückt sitzen. Ehrlich gestanden, Leser, noch nie hatte ich soviel Schönheit an einem Ort versammelt gesehen, und nachdem ich die Straße in ganzer Länge durchritten, hatte ich mich längst noch nicht satt gesehen, so daß ich kehrtmachte, um mir noch einmal in umgekehrter Richtung die Augen auszugucken, völlig geblendet von all den Reizen, die es da zu schauen gab und die an Feinheit, Lieblichkeit, Glanz und Grazie alles übertrafen, was ich von Frankreich her kannte.
    Beim zweitenmal gab ich nun auch auf die Menge der Männer acht, die dort in unglaublicher Dichte und Enge defilierten, ohne einen Mucks von sich zu geben, wie in tiefer Andacht vor ihren Göttinnen. Und als ich schließlich innehielt vor jener, die mich von allen die Schönste dünkte, und sie mit den Augen verschlang, beobachtete ich ein seltsames Schauspiel, denn alle Männer, die an ihrem Fenster vorüberzogen, entblößten vor ihr beinahe fromm das Haupt, sie aber erwiderte diese Grüße in der ganzen Zeit, die ich dort verweilte, nur drei- oder viermal mit einem Blick oder einem Lächeln, und ihr Gesicht blieb wie Marmor gegen alle anderen.
    »Signor«, sagte ich zu einem Kavalier, der im Gedränge an meine Seite geraten war, »könnt Ihr mir bitte den Namen dieser Schönen nennen?«
    »Wie, Signor, Ihr kennt sie nicht?« sagte er wie unwillig, ohne mich auch nur anzusehen, offenbar brachte er es nicht über sich, die Augen von dem Gegenstand seiner stummen Bewunderung zu lösen, »es kennt sie hier doch jeder!«
    »Und wie kommt es«, fuhr ich fort, »daß sie von jedermann gegrüßt wird, sie selbst aber nur wenige wiedergrüßt?«
    Worauf der Mensch so verstimmt war, als hätte ich ihn im Gebet gestört, sein Pferd wendete und mir den Rücken kehrte.
    »Signore«, rief da eine helle Stimme unter mir.
    Ich schaute hinunter und entdeckte in Höhe meines Steigbügels einen Jungen von etwa zehn Jahren, ums runde Gesicht einen schwarzen Lockenkranz.
    »Was ist?« fragte ich.
    »Nehmt mich vor Euch in den Sattel, und ich sage Euch, wie sie heißt.«
    Lachend beugte ich mich hinab, ergriff ihn mit den Händen und hob ihn zu mir herauf.
    »Francesco«, rief er einem anderen Jungen zu, der den Pferden zwischen den Füßen herumlief, »siehst du, wo ich bin?«
    Dann wandte er seine dreisten Augen und sein strahlendes Gesicht mir zu.
    »Die Schöne, die Ihr bewundert, Signore«, sagte er in feierlichem Ton, »das ist die Pasticciera, Gott segne sie! Und alle, die sie grüßt, sind ihre Liebhaber.«
     
    Am nächsten Tag, um elf Uhr, besuchte mich Vincenti, der kleine Mann mit den Eichhörnchenaugen, der

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