Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
vollkommene Schönheit hast. Ich habe sie an ihrem Fenster gesehen, und zwar mit allerhöchster Bewunderung.« (Der Leser beachte, daß ich mich allmählich dem italienischen Ton anbequemte.)
»Wer sie am Fenster sieht, Signor Marchese«, sagte Alfonso ernst, »der sieht sie nicht wahrhaft … Wie dem auch sei«, fuhr er seufzend fort, »ich fand sie in Tränen: Einer ihrer Liebhaber ist an einem Magenleiden gestorben.«
»Wie traurig.«
»Ja. Zumal dieser Herr sehr zärtlich und sehr freigebig war.«
»Dann trauert sie um seine Zärtlichkeit wie um seine Geschenke«, sagte ich, ohne mir ein Lächeln zu erlauben.
»Bitte, Signor Marchese, haltet die Pasticciera nicht für habgierig und raffsüchtig. Sie ist das ganze Gegenteil. Aber sie hat eine zahlreiche Familie zu ernähren und dazu noch ein Haus zu führen, das ihrer Schönheit würdig ist. Und dabei liebt sie ihre Liebhaber von ganzem Herzen.«
»Das glaube ich gern«, sagte ich, »mich stört nur der Plural.«
»Ihr werdet nie ein richtiger Römer«, bemerkte Alfonso mit leisem Vorwurf, »wenn Ihr hierin nicht großmütiger denkt … Die Pasticciera kann ihre Liebhaber lieben, denn sie hat sich liebenswürdige ausgesucht, und weil jetzt ein Platz in ihrem Herzen frei geworden ist, erlaubte ich mir, ein gutes Wort für Euch einzulegen.«
»Da hast du viel auf dich genommen, Alfonso.«
»Noch mehr sogar, Signor Marchese: Ich soll Euch ihr vorstellen, am kommenden Donnerstag um fünf Uhr.«
»Beim Ochsenhorn! Ohne mich vorher zu fragen?«
»Hat Kardinal Giustiniani Euch gefragt, bevor er Euch dem Papst vorstellte?« Alfonso verneigte sich leicht.
»Wie?« sagte ich baß erstaunt, »das weißt du?«
Doch blieb mir für diesmal keine Zeit zu längerem Staunen, denn ein spanisch gekleideter kleiner Page kam und erkundigte sich, ob ich wohl der Herr Marquis de Siorac sei, worauf er mir ein Billett aushändigte und verschwand, noch bevor ich ihn belohnen konnte. Schnell zog ich mich ins Haus zurück, vor den brennenden Kamin, denn über dem Gespräch mit Alfonso war mir kalt geworden, und auch das Briefchen war, wie ich rasch sah, nicht dazu angetan, mich zu erwärmen.
Monsieur,
von meinem Cousin, Don Luis Delfín de Lorca, der Euch im Vatikan begegnete, hörte ich, daß Ihr in bewegten Worten von mir spracht und daß Ihr mich einladen laßt, Euch zu besuchen. Ich bin wahrhaftig sehr gerührt, daß Ihr mir einige Zuneigung bewahrt, und nur zu betrübt, mir die Freude eines Wiedersehens versagen zu müssen. Doch dieselben Gründe, die ich Euch in meinem Abschiedsbrief des langen und breiten darlegte, sprechen entschieden gegen eine Erneuerung unserer Bekanntschaft. Zwar hörte ich, daß Ihr derzeit allein lebt, doch weiß ich aus leidvoller Erfahrung, daß Euer Alleinsein nie lange währt und daß Ihr in Rom, wie anderswo, bald eine Korona Frauen um Euch haben werdet, und es wäre einer hochstehenden Dame nicht eben ziemlich, sich diesen wohl oder übel beigesellt zu sehen.
Deshalb bleibe meine Freundschaft Euch besser aus der Ferne bewahrt, auf daß ich mich in aller Aufrichtigkeit, Monsieur, Eure geneigte und ergebene Dienerin nennen darf.
Doña Clara Delfín de Lorca
Ich bin mir durchaus bewußt, daß meine Leser und Leserinnen diesen Brief sehr unterschiedlich kommentieren werden. Erstere werden sagen: »So sind die Frauen. Kann sie mit ihm nicht das ganze Leben haben, gönnt sie ihm auch eine Besuchsstunde nicht!« Die anderen werden sagen: »So sind die Männer! In Paris hat er sie verschmäht, obwohl sie ihn in einem Maße anhimmelte, daß es schon unter ihrer Würde war, wie deutlich sie es ihm zeigte, und jetzt, da er allein und verlassen in Rom sitzt, stürzt er sich auf sie! Und mit welcher Scheinheiligkeit! Würde er sich nämlich eingestehen, was er im Hinterkopfhat, müßte er zugeben, daß er mehr von ihr will als die gute Freundschaft, mit der er sie locken wollte …«
Bitte, hören Sie mit Ihren Vorhaltungen auf, schöne Leserin, ich gebe Ihnen ja völlig recht. Nur müssen Sie mir auch einräumen, daß ich für Doña Clara weit mehr Zuneigung empfand, als ich wollte, und deshalb immer bedauert habe, daß ich ihr aus Vorsicht (und Furcht vor ihren Krallen) aus dem Wege gehen mußte.
Gern bekenne ich, beim Ochsenhorn! so viele Hintergedanken, wie Sie wollen. Aber da ich nun einmal im Staub vor Ihnen liege, sollen Sie auch wissen, daß Doña Claras Brief mich so unglücklich und wütend machte, daß ich jäh aus dem Haus lief, zu
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