Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
jenseits meines Begreifens, und das im Schneckengang.
So verging mir denn ein ganzer Monat in einem
dolce far niente
, das mir alles andere als süß war, vielmehr lastend bis zum Unerträglichen, war doch auch der Winter in Rom nicht so milde, wie man in Paris glaubt, sondern regnerisch, windig und stürmisch, so daß ich in meinem schönen Kardinalspalast, inmitten meiner Säulen, Statuen und Marmorbilder, kälteschlotternd und sehnsüchtig schmachtete und allein von Erinnerungen zehrte.
»Signor Marchese«, sagte mein Bettler vom Dienst, als ich einmal mit La Surie das Haus verließ und ihm mein tägliches Scherflein spendete, »es sieht mir aus, als trüge Euer schönes Antlitz
un’aria imbronciata
1 .«
»Un’aria imbronciata?«
fragte ich. Mein Italienisch war seinem Ausdruck nicht gewachsen.
»Mit anderen Worten, Signor Marchese, Ihr seht traurig aus wie ein Tag ohne Sonne.«
»Weil dieser Tag eben ohne Sonne ist«, sagte ich.
»Nein, nein, Signor Marchese, die Sonne fehlt in Eurer Seele. Ihr leidet in Wahrheit an der Krankheit aller Franzosen in Rom.«
»Und die wäre?«
»Sie sehen die schönen Römerinnen und dürfen sie nicht berühren.«
»È la verità nuda e cruda«
, 1 meinte La Surie. »Der Marquis leidet in der Tat an der Krankheit der Franzosen. Und ich auch.«
»Es gibt aber ein Heilmittel dafür«, sagte Alfonso, indem er mit geheimnisvoller Miene zu Boden blickte.
»Alfonso«, sagte ich, »ich bin ganz Ohr.«
»Ich kenne
una bella ragazza
2 .«
»Ach!« sagte ich.
»Una bellissima ragazza.«
»Noch besser«, sagte La Surie.
»Mit der könnt Ihr eine Nacht schlafen für vier französische Ecus.«
»Warum französische Ecus?« fragte La Surie.
»Weil ihr die lieber sind als das päpstliche Geld.«
»Alfonso«, sagte ich abweisend, »mir liegt nichts an käuflicher Liebe.«
»Ha, Signor Marchese!« sagte Alfonso, beide Hände aufhebend, »Ihr mißversteht mich. Teresa ist keine Hure: Sie ist eine Kurtisane.«
»Wo ist der Unterschied?«
»Teresa hat keine Kunden. Sie hat Freunde. Einen ganz kleinen Kreis. Und sehr erlesene.«
»Wie, erlesene?«
»Aus der Geistlichkeit, unter einem Monsignore macht sie es nicht. Und beim Adel nicht unter einem Marchese.«
»Ich Armer!« sagte La Surie.
»Alfonso«, sagte ich, »und das soll ich glauben? Keinen reichen Bürger? Keinen betuchten Kaufmann?«
»Sì, ma furtivamente«
, 1 sagte Alfonso. »Sonst wäre sie ihren Ruf los. Trotzdem empfängt sie offen den Bargello, den Polizeichef, obwohl er von niederem Adel ist, damit ihre Freunde wissen, daß ihr Haus sicher und Tag und Nacht bewacht ist.«
»Vielen Dank, Alfonso, ich denke darüber nach.«
»Signor Marchese, denkt auch an das Prestige, das Ihr in Rom genießen werdet, wenn die
pasticciera
2 Euch zum Freund nimmt.«
»Die
pasticciera
?«
»Bevor Signora Teresa ihren Kreis aufmachte, buk sie die besten Kuchen von Rom.«
»Ich wette«, sagte La Surie auf französisch, »sie fand es einträglicher, anstatt Teig zu kneten, sich selbst kneten zu lassen.«
Doch Alfonso hatte ihn durchaus verstanden.
»Signor«, sagte er, peinlich berührt, »sprecht von der Pasticciera nicht respektlos. Sie ist eine große Dame.«
»Leider«, sagte La Surie, »zu groß für mich, der ich von niederem Adel bin und auch nicht Bargello.«
»Aber Teresa hat eine Cousine«, gab Alfonso zu bedenken.
»Dann werde ich von der Cousine träumen«, meinte lachend La Surie.
Wir saßen auf und trabten davon, gefolgt von Pissebœuf, Poussevent und vier anderen Männern, vor uns die beiden Pagen, alle mit Dolch und Degen bewaffnet, die Pistolen im Wams versteckt, und alle sehr wachsam, die Augen auf die Fenster rechts und links der Straße gerichtet, besonders auf solche mit durchscheinenden Läden davor, ob halb, ob ganz geschlossen, konnte sich dahinter doch leicht ein Musketenlauf verbergen. Allerdings waren unsere Vorsichtsmaßregeln, wie d’Ossat mir schrieb, zwar gut, aber unnütz, denn Morde am hellichten Tag und auf offener Straße, wie der an Admiral de Coligny, waren in Italien nicht Sitte, hier bevorzugte man verschwiegenere Methoden, oft sogar Gift.
»Moussu«, sagte La Surie an meiner Seite, »was haltet Ihr von Alfonsos Angebot?«
»Daß er seinen Vorteil sucht.«
»Versteht sich. Was weiter?«
»Daß ich wenig Lust habe auf eine käufliche Liebe, und sei sie noch so vergoldet.«
»Moussu, in Eurer Jugend wart Ihr nicht so heikel, ich brauche bloß an eine gewisse Nadlerei in
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