Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Wahren zu unterscheiden oder zumindest das Wahrscheinliche vom Ungewissen.
Während ich diese Zeilen schreibe, spüre ich, wie Sie, schöne Leserin – leider nicht körperlich –, hinter mir stehen und mich am Ellbogen zupfen.
»Monsieur«, höre ich Sie klagen, »schon wieder geht es um Krieg! Dabei wissen Sie, daß mein sanftmütiges Geschlecht im Krieg nicht vorkommt …«
»Nur bei der Einnahme einer Stadt als unschuldiges Vergewaltigungsopfer«, werfe ich ein.
»Bitte, Monsieur, unterbrechen Sie mich nicht! Der Krieg hat für mich nun einmal nicht denselben Reiz wie Ihre persönlichen Abenteuer. Und ich verhehle nicht, daß das alles meinem empfindsamen Herzen gegen den Strich geht. Ich kann es schon nicht ertragen, wenn eine Katze eine Maus zerfleischt. Mit wieviel mehr Abscheu wende ich mich von einem Schauplatz ab, wo so viele Menschen umkommen.«
»Gewiß, Madame«, sage ich, »das alles weiß ich, und Sie sehen mich deshalb auch sehr bekümmert. Trotzdem, bedenken Sie bitte, daß dem Bild, das ich von unserer Zeit zu entwerfen versuche, die Farben der Wahrheit fehlen würden, wenn ich diese Momente ausließe, in denen Frankreichs Schicksal, ja sogar seine Existenz, auf Messers Schneide stand.«
»Monsieur, Sie sind ein schrecklicher Schulmeister! Sie haben mir den Zustand des Königreichs nun schon tausendmal erklärt. Mir dröhnen die Ohren. Ich weiß, ich weiß, bei allen Heiligen: Wenn Henri Laon nicht nimmt, fällt Paris der fremden Invasion zum Opfer!«
»Und Sie der spanischen Gewalttätigkeit! Hören Sie, Madame, bei meiner großen Schwäche für Sie muß ich Sie aber doch einmal ermahnen! Nehmen Sie die gegenwärtige Lage bitte nicht ganz so leicht! Es wird ein für allemal Schluß sein mit Ihrem schönen Pariser Leben, Ihren guten Mahlzeiten, IhrenBequemlichkeiten, Ihrer Seelenruhe, ja mit Ihrer Ehre, wenn der König und eine Handvoll seiner loyalen Untertanen den Feind nicht vor Laon besiegen …«
Im Krieg schleppt sich lange Zeit alles dahin, und plötzlich geht es holterdiepolter. Drei lange Monate führten wir nun die Belagerung, lauerten, wachten, schickten Spione nach La Fère, machten Aufklärungsritte rund um Laon, aber die Stadt ergab sich nicht. Die Stadt wartete auf Mansfeld, und kein Mansfeld kam. Sicherlich war das ehemals so rasche Spanien durch die palavrige und papierwütige Herrschaft Philipps II. furchtbar langsam geworden, aber trotzdem begriff niemand, wo Mansfeld blieb. Vielleicht, daß er einen Brief seines Herrn erwartete und der Brief nicht eintraf. Vielleicht, daß Mansfeld, der immer die Brüsseler Geusen im Auge hatte, nicht das andere Auge auf Laon richten wollte, um nicht ins Schielen zu geraten – oder die eine Stadt zu verlieren, ohne die andere zu gewinnen. Vielleicht aber hatte er sogar Philipps II. Befehl erhalten und wollte, anstatt sich gehorsam in Marsch zu setzen, lieber Laons Kapitulation abwarten. Vielleicht war er nämlich gar nicht so begierig, sich mit Henri Quatre zu messen, ein so guter Feldherr er immer sein mochte und in so glanzvollem Ruf die spanische Infanterie auch stand, die unzweifelhaft die beste der Welt war.
Eines Tages im Juli rief der König zum Kriegsrat in sein Zelt, woran ich nur teilnehmen durfte, weil Monsieur de Rosny mich seiner Suite eingegliedert hatte. Zugegen waren der Marschall von Biron, von dem hier bereits die Rede war, der treffliche Givry, der ein paar Tage darauf vor Laon sein Leben lassen sollte, Saint-Luc, einst der Liebling König Heinrichs III., inzwischen allseits für seine Tapferkeit respektiert, der liebenswerte Marivault, der mit Givry die Kavallerie befehligte, und schließlich der rauhbeinige Vignolles, der dem Leser vielleicht noch im Gedächtnis ist, wie er vorsorglich Schloß Plessis-les-Tours besetzte, als die hochberühmte Begegnung und Aussöhnung zwischen Heinrich III. und dem zukünftigen Heinrich IV., unserem Henri Quatre, stattfand.
»Meine Herren«, sagte der König, indem er wie immer auf seinen dünnen Beinen ungeduldig umherstapfte, »soeben erhalte ich Nachricht aus La Fère. Mansfeld ist zu Mayenne gestoßen,nach übereinstimmender Aussage von drei getrennt operierenden Spionen. Sie wollen, bevor sie einen Generalangriff unternehmen, einen Entsatzversuch wagen und starke Kavallerie, Infanterie und große Mengen Munition nach Laon werfen. Zu dieser Expedition soll so viel an Fußvolk und Reiterei aufgeboten werden, daß man jedes angetroffene Aufklärungspeloton aufreiben
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