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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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näher kommen.
    Doch kaum sind sie bis auf hundert Flügelschläge an diesen Schlupfwinkel herangekommen, da geschieht das Unvorstellbare – die Bienen trauen ihren Antennen nicht. Ihren Augen übrigens auch nicht. Durch den Überraschungseffekt reduzieren sie ihre Flügelschläge von 300 auf 50 pro Sekunde.
    Ehe sie die graue Wolke erreichen, bremsen sie ab.
     
    GRAU

Viertes Arkanum
     
    DIE ZEIT DER AUSEINANDERSETZUNGEN
111. HERR AMEISEN
    Beim ersten Klingeln öffnet ein beleibter Mann die Tür.
    »Herr Oliver Ameisen?«
    »Der bin ich. Worum geht es?«
    Méliès schwenkte seinen in den Farben der Trikolore gestreiften Ausweis.
    »Polizei. Kommissar Méliès. Darf ich hereinkommen und Ihnen ein paar Fragen stellen?«
    Der Mann, ein Grundschullehrer, war der letzte mit dem Namen »Ameisen« im Telefonbuch. Méliès zeigte ihm Fotos der Opfer und fragte ihn, ob er sie wiedererkenne.
    »Nein«, meinte sein Gegenüber erstaunt.
    Der Kommissar befragte ihn, was er zur Tatzeit gemacht habe. Herr Oliver Ameisen hatte sowohl Zeugen als auch Alibis. Er sei immer in der Schule oder bei seiner Familie gewesen. Nichts sei leichter zu beweisen als das.
    Frau Hélène Ameisen tauchte jetzt in einem Bademantel mit Schmetterlingsmuster auf. Da kam dem Kommissar eine Idee:
    »Benutzen Sie Insektizide, Herr Ameisen?«
    »Natürlich nicht. Schon in meiner Kindheit hat es Dummköpfe gegeben, die mich als ›dreckige Ameise‹
    beschimpft haben. Dadurch fühle ich mich mit diesen Insekten solidarisch, die mit dem Schuhabsatz gedankenlos zertreten werden. Darum gibt es in diesem Haus genausowenig ein Insektizid wie einen Strick bei einem Herrn Gehängter, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    Da erschien Ophelia Ameisen und drückte sich an ihren Vater. Das Mädchen trug die dicken Brillengläser einer Klassenbesten.
    »Das ist meine Tochter«, sagte der Lehrer. »Sie hat auf unseren Nachnamen reagiert, indem sie sich einen Ameisenhaufen in ihr Zimmer gestellt hat. Zeig ihn dem Herrn, meine Liebe.«
    Ophelia führte den Kommissar zu einem großen Aquarium, das dem von Laetitia Wells glich. Es war voller Insekten und von einer Kuppel aus Zweigen gekrönt.
    »Ich dachte, der Verkauf von Ameisenhaufen sei verboten«, meinte Méliès.
    Das Mädchen protestierte: »Ich hab ihn doch nicht gekauft.
    Ich hab ihn mir im Wald geholt. Man muß nur tief genug graben, damit die Königin nicht entwischen kann.«
    Herr Oliver Ameisen war auf seine Tochter sehr stolz.
    »Die Kleine will einmal Biologin werden, wenn sie groß ist.«
    »Entschuldigen Sie, ich habe keine Kinder und wußte nicht, daß Ameisen als Spielzeug in Mode sind.«
    »Sie sind kein Spielzeug. Die Ameisen sind in Mode, weil unsere Gesellschaft immer mehr lebt wie sie. Und vielleicht meint ein Kind, wenn es sie beobachtet, seine eigene Welt besser begreifen zu können. Das ist alles. Haben Sie schon einmal ein paar Minuten damit verbracht, ein Aquarium voller Ameisen einzurichten, Herr Polizist?«
    »Äh, nein. Im allgemeinen suche ich ihre Gesellschaft nicht
    …«
    Insgeheim fragte Jacques Méliès sich, ob es an ihm lag, daß er die ganzen verrückten Ameisenliebhaber anzog, oder ob sie wirklich so weit verbreitet waren.
    »Wer ist denn der?« fragte Ophelia Ameisen.
    »Ein Kommissar.«
    »Was ist ein Kommissar?«

112. DIE SCHLACHT IN DER KLEINEN WOLKE
    Die Flocken der Stratokumuluswolke regnen langsam herab.
    Erst erkennen die Bienen aus der Goldenen Stadt es nicht so recht: Es scheinen dicke Brummfliegen zu sein, die aus einer Öffnung in der grauen Wolke hervorschießen.
    Doch bald merken die Askoleinerinnen, mit wem sie es zu tun haben.
    Das sind keine dicken Fliegen! Das nicht …
    Es sind Käfer. Nicht irgendwelche Maikäfer oder Mistkäfer, nein: Nashornkäfer.
    Welch geradezu dantesker Anblick, diese dicken brummenden und gehörnten Tiere, besetzt von kleinen lebendigen Kanonen, die zum Abschuß ihrer Ladungen bereit sind.
    Wie haben sie es nur geschafft, diese großen Tiere zu zähmen und sie dazu zu überreden, mit ihnen zu kämpfen? fragen sich die Bienen sofort.
    Sie haben keine Zeit, sich weitere Fragen zu stellen, denn im Nu verdunkeln etwa zwanzig dieser Nashornkäfer den Himmel über ihnen. Schon stürzen sich die Ungetüme auf sie, und die roten Artilleristinnen feuern.
    Die V-Formation der Bienen ist jetzt dabei, in eine W-Formation überzugehen und dann sogar zu einer XYZ-Formation. Ein kunterbuntes Durcheinander.
    Der Überraschungseffekt ist vollkommen.

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