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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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Soldatin hat dennoch nicht ihre gemeinsamen Abenteuer in den unterirdischen Gewölben der Stadt vergessen, die Nachforschungen, die sie beide gemeinsam angestellt haben, um die Geheimwaffe zu entdecken, den Drogen erzeugenden Büschelkäfer, der sie zu vergiften versucht hat, den Kampf gegen die Spioninnen mit dem Felsgeruch.
    Nr. 103 683 erinnert sich auch an ihre große Reise nach Osten, an ihre Berührung mit dem Ende der Welt, mit dem Land der Finger, wo alles, was lebt, stirbt.
    Schon mehrmals hat die Soldatin darum gebeten, eine neue Expedition auszurüsten. Sie hat zur Antwort bekommen, daß es hier zuviel zu tun gebe, um Selbstmordkarawanen an die Grenzen des Planeten zu schicken.
    Das alles ist Vergangenheit.
    Für gewöhnlich denkt die Ameise nie an die Vergangenheit, im übrigen auch nicht an die Zukunft. Sie ist sich im allgemeinen nicht einmal ihrer Existenz als Individuum bewußt. Ohne einen Begriff von »ich«, »mein« oder »dein« verwirklicht sie sich nur durch die Gemeinschaft, für die Gemeinschaft. Da es kein Eigenbewußtsein gibt, gibt es auch keine Furcht vor dem eigenen Tod. Die Ameise kennt keine existentielle Angst.
    Doch in Nr. 103 683 hatte sich eine Verwandlung vollzogen.
    Ihre Reise an den Rand der Welt hatte in ihr ein »Ich«-
    Bewußtsein entstehen lassen, das zwar noch rudimentär war, aber trotzdem sehr mühsam anzunehmen. Sobald man an sich zu denken beginnt, tauchen die »abstrakten« Probleme auf. Bei den Ameisen heißt das die »Krankheit der Seelenstimmungen«.
    Sie trifft im allgemeinen die Fortpflanzungsfähigen. Schon allein die Tatsache, daß man sich fragt: »Leide ich an der Krankheit der Seelenstimmungen?«, belegt aus der Sicht der Ameisen, daß man bereits ernsthaft erkrankt ist.
    Nr. 103 683 ist also bemüht, sich keine Fragen zu stellen.
    Doch das fällt schwer …
    Um sie herum ist die Straße jetzt breiter. Der Verkehr ist beträchtlich dichter geworden. Sie reibt sich an der Menge, versucht, sich nur noch als ein winziges Teilchen in einer Masse zu fühlen, die ihren Verstand übersteigt. Die anderen sein, durch die anderen leben, sich durch seine Umgebung vervielfältigt fühlen, was gibt es Freudigeres?
    Munter hüpft sie über die verstopfte Straße. Jetzt ist sie vor dem Zugang zum vierten Tor der Stadt. Wie üblich der totale Wirrwarr! Es ist so viel los, daß der Durchgang verstopft ist.
    Der Eingang Nr. 4 müßte vergrößert und in den Verkehrsfluß ein wenig Disziplin gebracht werden. Zum Beispiel dadurch, daß diejenigen, welche die am wenigsten sperrige Beute tragen, den anderen Platz machen. Oder daß jene, die zurückkommen, das Vorrecht vor denen haben, die herauswollen. Statt dessen ein Stau, die Plage aller Metropolen!
    Nr. 103 683 hat es ihrerseits gar nicht so eilig, ihren armseligen leeren Kokon einzubringen. Beim Warten darauf, daß die Dinge sich klären, beschließt sie, einen kleinen Spaziergang über den Schuttplatz zu machen. Als sie noch jung war, hat sie es geliebt, im Unrat zu spielen. Mit den Kameradinnen ihrer Kriegerkaste hat sie Schädel hochgeworfen und sie in der Luft mit einem Säurestrahl zu erreichen versucht.
    Man mußte seine Giftdrüse schnell drücken. So ist Nr. 103 683 übrigens zur Eliteschützin geworden. Dort, auf dieser Mülldeponie hat sie gelernt, schneller als ein Kieferbiß blankzuziehen und zu zielen.
    Ach, die Deponie … Die Ameisen bauen immer eine vor ihrer Stadt. Sie erinnert sich an eine fremde Söldnerin, die, als sie zum erstenmal nach Bel-o-kan kam, ausgerufen hatte: »Die Deponie sehe ich, aber wo ist die Stadt?« Man muß zugeben, daß diese hohen Hügel aus Leichen, Getreidespreu und verschiedenen Abfällen die Neigung haben, das Vorfeld der Stadt zu überfluten. Bestimmte Eingänge (Hilfe!) sind total davon verstellt, und anstatt sie freizuräumen, werden lieber anderswo neue Durchgänge gegraben.
    (Hilfe!)
    Nr. 103 683 dreht sich um. Sie hat den Eindruck gehabt, daß jemand gerade einen Duft geseufzt hat. Hilfe! Diesmal ist sie sich sicher. Ein deutlicher Kommunikationsduft strömt aus diesem Abfallhaufen. Fängt jetzt schon der Unrat zu sprechen an? Sie tritt näher, wühlt mit den Antennenspitzen einen Stapel Leichen durch.
    Hilfe!
    Gerufen hat eines der drei Trümmer dort. Nebeneinander liegen der Kopf eines Marienkäfers, der Kopf eines Heupferdchens und der Kopf einer roten Ameise. Sie tastet sie alle ab und entdeckt einen kaum wahrnehmbaren Lebensduft in Höhe der Antennen eines Stücks der

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