Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
Vom Netzwerk:
war so nahe am Erfolg gewesen, dieser Verschmelzung mit der Wärme!
    Der enttäuschte Falter kehrt in den Wald von Fontainebleau zurück und schwingt sich ganz hoch zum Himmel empor. Er fliegt lange, ehe er den Ort erreicht, wo er seine Verwandlung vollzogen hat.
    Dank seinen Tausenden von Augenfacetten kann er vom Himmel aus die Landschaft klar erkennen. In der Mitte der Ameisenhaufen Bel-o-kan. Darum herum kleine Städte und Dörfer, die von den roten Königinnen angelegt wurden. Die ganze Ansiedlung nennen sie die »Föderation von Bel-o-kan«.
    Tatsächlich hat diese hier eine solche politische Bedeutung erlangt, daß man bereits von einem Reich sprechen kann. Im Wald wagt niemand mehr die Vorherrschaft der roten Ameisen in Frage zu stellen.
    Sie sind am intelligentesten, am besten organisiert. Sie können mit Werkzeugen umgehen, haben die Termiten und die Zwergameisen besiegt. Sie erlegen Tiere, die hundertmal größer sind als sie. Kein Zweifel, daß sie im Wald die wahren Herrscher sind, und die einzigen.
    Im Westen von Bel-o-kan erstrecken sich gefährliche Gefilde, wo es von Spinnen und Gottesanbeterinnen wimmelt (Schmetterling, sei auf der Hut!)
    Im Südosten ist eine kaum weniger wilde Gegend voller Killerwespen, Schlangen und Schildkröten (Gefahr).
    Im Osten gibt es alle Arten von Ungeheuern mit vier, sechs oder acht Beinen und genauso vielen Mäulern, Giftzähnen und Pfeilen, die einen vergiften, erdrücken, zermalmen, verflüssigen.
    Im Nordosten gibt es eine ganz neue Bienenstadt, den Stock von Askolein. Dort leben wilde Bienen, die unter dem Vorwand, ihre Pollenerntezonen erweitern zu wollen, schon mehrere Wespennester zerstört haben.
    Noch weiter im Osten befindet sich ein Fluß namens »Allesfresser«, denn er verschlingt sofort alles, was sich auf seiner Oberfläche niederläßt. Darum sollte man dort Vorsicht walten lassen.
    Sieh an, auf der Uferböschung ist eine neue Stadt entstanden.
    Neugierig nähert sich der Schmetterling. Sie muß vor kurzem von Termiten errichtet worden sein. Die auf dem höchsten Bergfrieden des Ortes plazierte Artillerie versucht sofort, den Eindringling abzuschießen. Doch dieser schwebt zu weit oben, als daß ihn diese Schurken gefährden könnten.
    Der Falter dreht ab, überfliegt die Steilhänge im Norden, die schroffen Berge, welche die große Eiche umgeben. Dann steigt er nach Süden hinab, dem Land der Gespensterheuschrecken und der roten Pilze.
    Plötzlich macht er ein Schmetterlingsweibchen aus, das bis in diese Höhe den starken Duft seiner Geschlechtshormone ausströmt. Er eilt ihm entgegen, um es aus der Nähe zu sehen.
    Seine Farben sind noch auffälliger als seine eigenen. Es ist so schön! Aber es bleibt seltsam reglos. Eigenartig. Es besitzt die Ausdünstungen, die Formen und die Beschaffenheit einer Schmetterlingsdame, aber … So eine Gemeinheit! Es ist eine Blume, die sich durch Nachahmung für etwas ausgibt, was sie nicht ist. An dieser Orchidee ist alles falsch: die Gerüche, die Flügel, die Farben. Reiner botanischer Beschiß! Leider hat der Schmetterling das zu spät bemerkt. Seine Beine kleben fest.
    Von dort kann er sich nicht mehr lösen.
    Der Schmetterling schlägt so heftig mit den Flügeln, daß der Luftzug die Pollenschirmchen aus einer Pusteblume entreißt.
    Sachte rutscht er an den schalenförmigen Rändern der Orchidee entlang. In Wirklichkeit ist diese Blumenkrone nichts anderes als ein weitaufgerissener Magen. Am Grund der Schale verbergen sich die Verdauungssäuren, die es dieser Blume ermöglichen, einen Schmetterling zu verspeisen.
    Ist das das Ende? Nein, das Glück zeigt sich in Gestalt zweier zu einer Zange gebogenen Finger, die ihn an den Flügeln packen und ihn aus der Gefahr befreien, um ihn in einen durchsichtigen Topf zu werfen.
    Der Topf überquert eine große Entfernung.
    Dann wird der junge Schmetterling in ein Lichtfeld gebracht.
    Die Finger nehmen ihn aus dem Topf, tauchen ihn in eine gelbe, stark riechende Substanz, die seine Flügel härtet. Keine Möglichkeit mehr, sich aufzuschwingen. Dann packen die Finger einen riesigen Pfahl und mit einem festen Stoß …
    rammen sie ihn in sein Herz. Als Grabspruch befestigen sie gleich über seinem Kopf ein Schildchen. »Papilio vulgaris«.
     

11. ENZYKLOPÄDIE
     
    KULTURSCHOCK: Die Begegnung zwischen zwei Zivilisationen stellt immer einen heiklen Augenblick dar. Die Ankunft der ersten Europäer in Mittelamerika war der Anlaß zu einer ungeheuren Verwechslung. Die

Weitere Kostenlose Bücher