Der Tag der Ameisen
Zementfestung, die sie vor kurzem am Westufer des Flusses errichtet haben.
Schon von außen wirkt das Gebäude beeindruckend. Die ockerfarbene Zitadelle besteht aus einer zentralen Kuppel, überragt von drei Bergfrieden, welche ihrerseits mit sechs Türmchen bestückt sind. In Höhe des Bodens sind alle Eingänge mit Kieselsteinen verbarrikadiert. Durch Ritzen in Form von Schießscharten werden sie von einigen Schildwachen gesichert.
Als die Kreuzzüglerinnen die feindliche Burg stürmen, tauchen in den senkrechten Spalten die Nasutisoldatinnen auf und gießen Leim über die Angreiferinnen aus.
Fünfzig Gefallene beim ersten Ansturm. Dreißig bei der zweiten Welle. Diejenigen, die von oben nach unten schlagen, sind immer im Vorteil gegenüber denen, die von unten nach oben schießen.
Es bleibt also keine andere Lösung als ein Luftangriff. Die Nashörner durchbohren die Türmchen mit ihren Hörnern, die Hirschkäfer reißen ganze Bergfriede voller entsetzter Bewohnerinnen um, aber der Leim wirkt weiterhin Wunder, und in der Termitenstadt Moxiluxun beginnt man ein wenig aufzuatmen.
Die Verwundeten werden versorgt, die Breschen abgedichtet, die Speicher für eine lange Belagerung eingerichtet, die Wachen abgelöst.
Die Termitenkönigin von Moxiluxun gibt keine Furcht zu erkennen. Der stumme, unauffällige König neben ihr hüllt sich in Schweigen. Bei den Termiten überleben die Männchen den Hochzeitsflug und bleiben dann bei ihrem Weibchen im königlichen Gemach.
Eine Spionin flüstert mit verschwörerischer Miene, was alle schon wissen: Die roten Ameisen von Bel-o-kan hätten einen Kreuzzug gegen den Osten ausgerufen und auf ihrem Weg mehrere Ameisendörfer und eine Bienenstadt niedergemacht.
Man erzählt sich, daß Chli-pu-ni, ihre neue Königin, den Versuch unternommen habe, die Föderation durch alle möglichen Neuerungen in den Bereichen Architektur, Landwirtschaft und Industrie zu entwickeln.
Die jungen Königinnen halten sich immer für klüger als die alten, meint voller Ironie die alte Königin von Moxiluxun.
Die Termiten stimmen ihr mit beifälligen Düften zu.
Da ertönt der Alarm.
Die Ameisen dringen in die Stadt ein!
Die Informationen, die zwischen den Antennen der Termiten kreisen, kommen so überraschend, daß die Herrscherin sie kaum zu glauben vermag.
Werren (auch Maulwurfsgrillen genannt) hätten die unteren Stockwerke angegraben. Ihre großen Vorderbeine hätten es ihnen ermöglicht, rasch unterirdische Gänge zu buddeln. Jetzt würden sie in breiter Front vorrücken, und hinter ihnen würden Hunderte von Ameisensoldatinnen alles plündern.
Ameisen? Haben Werren gezähmt?
Das Undenkliche ist wahr. Dank dieser unterirdischen Armee wird zum erstenmal eine Termitenstadt von unten nach oben angegriffen. Wer hätte auch eine unterirdische Offensive ahnen können, unter Umgehung der Stadtpforten? Die moxiluxunischen Strateginnen wissen nicht, wie sie reagieren sollen.
In den untersten Sälen staunt Nr. 103 über die Raffinesse der Termitenstadt. Alles ist so gebaut, daß an jedem Ort die gewünschte Temperatur herrscht. Artesische Brunnen erschließen in über hundert Schritt Tiefe Wasserpfützen, die frische Luft mitführen. Die warme Luft wird von den Pilzgärten erzeugt, die in den oberen Geschossen über dem königlichen Palast liegen. Von dort gehen mehrere Kamine aus. Manche von ihnen erheben sich in Richtung der Bergfriede, um das Kohlegas zu entsorgen. Andere ziehen die Kühle aus dem Keller an und reichen ins königliche Gemach und die Krippen hinunter.
Und jetzt? Greifen wir die Brut an? fragt eine belokanische Soldatin.
»Nein«, erklärt Nr. 103. Bei den Termiten ist es anders.
Besser, wir fallen erst über die Pilzgärten her.
Die Kreuzzüglerinnen ergießen sich in die porösen Gänge. In den unterirdischen Geschossen sind die moxiluxunischen Truppen blind. Dem Druck der Ameisen bieten sie nur schwachen Widerstand, aber je höher diese vordringen, desto wütender werden die Kämpfe. Jedes Viertel wird unter hohen Verlusten beider Seiten erobert. In der völligen Finsternis hält jede ihre Erkennungspheromone zurück, um nicht zum Ziel für den verborgenen Gegner zu werden.
Es kostet jedoch weitere zweihundert Tote, um bis zu den Termitengärten vorzudringen.
Den Moxiluxunierinnen bleibt nur noch, sich zu ergeben.
Ohne ihre Pilze sind die Termiten außerstande, Zellulose zu verdauen, und sterben alle an Entkräftung, Erwachsene, Brut und Königin.
Werden die
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