Der Tag der Ameisen
siegreichen Ameisen sie bis zur letzten massakrieren, wie es üblich ist?
Nein. Diese Belokanierinnen sind wirklich erstaunlich. Im königlichen Gemach erklärt Nr. 103 der Herrscherin, daß die Roten nicht im Krieg gegen die Termiten stehen, sondern gegen die Finger, die jenseits des Flusses leben. Im übrigen hätten sie Moxiluxun nicht angegriffen, wenn die Einwohner von dort nicht auf sie losgegangen wären. Alles, was die Ameisenschar jetzt wolle, sei, im Termitenhügel übernachten zu dürfen und die Hilfe der Moxiluxunier zu erhalten.
136. SIE SIND ÜBERFÜHRT
»Kommt gar nicht in Frage, schlagen Sie sich das aus dem Kopf!«
Laetitia zog sich verärgert die Decke über die Augen.
»Kommt gar nicht in Frage, daß ich aufstehe«, murmelte sie.
»Das ist sicher wieder ein falscher Alarm.«
Méliès schüttelt sie heftiger.
»Aber ›sie‹ sind da«, schrie er beinahe.
Die Eurasierin willigte ein, ihre Decke wieder herunterzuziehen und ein vernebeltes lila Auge aufzuschlagen.
Auf allen Kontrollschirmen marschierten Hunderte von Ameisen voran. Laetitia sprang auf, drehte am Zoom, bis der Pseudoprofessor Takagumi deutlich zu sehen war: Sein Körper wurde von Krämpfen erschüttert.
»Sie sind dabei, ihn von innen zu zerfleddern«, hauchte Méliès.
Eine Ameise näherte sich der Scheinmauer und schien mit ihren Antennenspitzen zu schnüffeln.
»Rieche ich wieder nach Schweiß?« fragte der Kommissar beunruhigt.
Laetitia schnupperte an seinen Achselhöhlen.
»Nein, nur nach Lavendel. Sie haben nichts zu befürchten.«
Offenbar teilte die Ameise ihre Ansicht, denn sie machte kehrt, um neben ihren Gefährtinnen an dem Gemetzel teilzunehmen.
Unter den innerlichen Attacken erbebte die Puppe. Dann ließ die Bewegung nach, und sie sahen aus dem linken Ohr ihrer Puppe eine Kolonne kleiner Ameisen herauskommen.
Laetitia Wells streckte Méliès eine Hand hin. »Bravo. Sie hatten recht, Kommissar. Unglaublich, aber ich habe sie gesehen, mit eigenen Augen gesehen, die Ameisen, die Hersteller von Insektiziden ermorden! Und trotzdem kann ich einfach nicht daran glauben!«
Als mit den modernsten Methoden vertrauter Polizist hatte Méliès ins Ohr der Puppe einen Tropfen eines radioaktiven Mittels geträufelt. Eine der Ameisen müßte unweigerlich mit den Beinen hineintreten, so daß sie damit imprägniert war.
Jetzt würde sie ihnen die Fährte verraten, der es zu folgen galt!
Operation gelungen!
Auf den Bildschirmen liefen die Ameisen um die Puppe herum und kämmten alles ab, als würden sie jegliche Spur des Verbrechens verwischen wollen.
»Jetzt haben wir eine Erklärung für die fünf Minuten ohne Fliegen! Nach vollbrachter Tat sammeln sie ihre eventuellen Verwundeten und alles andere ein, was ihren Weg verraten könnte. Währenddessen trauen sich die Fliegen nicht heran.«
Auf den Bildschirmen stellten die Ameisen sich im Gänsemarsch auf und liefen wieder ins Bad. Dort stiegen sie in den Siphon des Waschbeckens und verschwanden allesamt darin.
Méliès war entzückt.
»Dank des Röhrennetzes in der Stadt können sie überall eindringen, in alle Wohnungen, ohne den geringsten Bruch!«
Laetitia teilte seine Freude nicht.
»Für mich bleiben da noch zu viele ungeklärte Fragen«, sagte sie. »Wie sollen diese Insekten die Zeitung gelesen haben, eine Adresse gefunden haben, begriffen haben, daß ihr Überleben davon abhängt, daß sie die Hersteller von Insektenvertilgern umbringen? Das kapier ich nicht.«
»Wir haben die Tierchen schlicht unterschätzt … Erinnern Sie sich, daß Sie mir vorgeworfen haben, den Gegner zu unterschätzen? Jetzt tun Sie es. Ihr Vater war Entomologe, und trotzdem haben Sie nie erfaßt, wie weit sie entwickelt sind. Sie können mit Sicherheit Zeitung lesen und ihre Feinde aufspüren.
Jetzt haben wir den Beweis dafür.«
Dies wies Laetitia zurück.
»Also, lesen werden sie nun wohl wirklich nicht können! So lang hätten sie uns bestimmt nicht getäuscht. Haben Sie einen Begriff davon, was das heißen würde? Sie würden alles über uns wissen und sich trotzdem als kleines Getier behandeln lassen, das mit dem Absatz zerdrückt wird!«
»Sehen wir wenigstens nach, wohin sie ziehen.«
Der Polizist holte aus einem Etui einen Geigerzähler heraus, der über längere Strecken empfindlich war. Die Nadel war auf die Radioaktivität der Substanz eingestellt, mit dem die Ameise imprägniert war. Der Apparat bestand aus einer Antenne und einem Bildschirm, wo man in
Weitere Kostenlose Bücher