Der Tag der Ameisen
jetzt?«
»Wir warten. Der Mörder wird kommen. Jetzt bin ich mir sicher.«
Méliès war verblüfft.
Sie blickte ihn mit ihren strahlenden lila Augen an und erklärte es ihm: »Diese einzelne Ameise hat mich an eine Geschichte erinnert, die mir mein Vater einmal erzählt hat. In Afrika hatte er beim Stamm der Baule gelebt. Dieses Volk hatte ein ganz erstaunliches Mittel gefunden, Leute umzubringen. Wenn einer ganz unauffällig jemanden töten wollte, beschaffte er sich einen Fetzen von der Kleidung des künftigen Opfers. Dann legte er es in einen Sack, in den er bereits eine Giftschlange gesteckt hatte. Dann hängte er den Sack über einen Topf mit kochendem Wasser. Die Schmerzen machten die Schlange rasend, und sie verband diese Tortur mit dem Geruch des Gewebes. Man brauchte sie nur noch im Dorf freizulassen. Sobald sie einen Geruch witterte, der jenem des Kleidungsfetzens ähnelte, biß sie zu.«
»Sie glauben also, daß der Geruch des Opfers unseren Mörder leitet?« »Genau. Schließlich gewinnen die Ameisen alle ihre Informationen aus Gerüchen.«
Méliès jubelte: »Jetzt geben Sie endlich zu, daß Ameisen die Mörder sind!«
Sie beruhigte ihn.
»Bis jetzt ist niemand umgebracht worden. Das einzige Delikt besteht in einem leicht angeschlitzten Schlafanzug.«
Er dachte nach, dann explodierte er: »Aber Sie haben diesem Kleidungsstück meinen Geruch verliehen! Jetzt werden sie mich umbringen wollen!«
»Noch immer Bammel, Kommissar … Es genügt, daß Sie sich sorgfältig unter den Achseln waschen und sich dann mit Deodorant besprühen. Und vorher werden wir unseren Professor Takagumi reichlich mit Ihrem Schweiß einreiben.«
Méliès war ganz und gar nicht beruhigt. Er schob sich einen Kaugummi zwischen seine zusammengebissenen Zähne.
»Aber sie haben mich schon einmal überfallen!«
»…und Sie sind ihnen entkommen, wie mir scheint. Zum Glück habe ich an alles gedacht und das Gerät mitgebracht, das Sie am ehesten entspannen kann.«
Sie zog aus ihrer Handtasche einen kleinen tragbaren Fernseher.
130. DIE SCHLACHT IN DEN DÜNEN
Der Marsch durch die Dünenwüste ist lang.
Die Schritte werden immer schwerer.
Ein feiner Sandfilm klebt an den Panzern, trocknet die Lippen aus und bringt die Chitingelenke zum Knirschen.
Die Harnische sind ganz mit Staub bedeckt, so daß sie nicht mehr glänzen.
Und der Kreuzzug rückt voran, immer voran.
Die Bienen haben keinen Krafthonig mehr anzubieten. Die Sozialkröpfe sind leer. Die Ankerborsten an den Beinen knacken bei jedem Schritt wie Säckchen mit bröckligem Gips.
Die Kreuzzüglerinnen sind erschöpft, doch da taucht eine neue Gefahr auf. Am Horizont wirbelt eine Staubwolke hoch, wird größer, kommt näher. In diesem Irisieren ist die Art der feindlichen Legionen schlecht auszumachen.
Auf dreitausend Schritt Entfernung sind sie schon besser zu erkennen. Es handelt sich um ein Termitenheer. Die Termitensoldatinnen, zu erkennen an ihrem birnenförmigen Kopf, verspritzen Leim, in dem die ersten Reihen der Ameisen sich verfangen.
Die Hinterleiber der Ameisen feuern ihre ätzenden Säuresalven ab. Die Reiterei der Termiten löst sich auf, aber die Ameisen haben zu spät geschossen, die gegnerische Horde überfällt sie und bricht in das Zentrum der Vorneverteidigung der Ameisen ein.
Aufeinanderprallende Kiefer.
Panzergetöse.
Der leichten Reiterei der Ameisen bleibt nicht einmal Zeit, sich zu rühren, da ist sie schon von Termitentruppen umringt.
Feuer! befiehlt Nr. 103. Doch die zweite Linie schwerer Artillerie, die mit sechzigprozentiger Säure bestückt ist, traut sich nicht, auf dieses Gewühl aus kämpfenden Ameisen und Termiten zu schießen. Der Befehl wird nicht befolgt. Die Gruppen gehen nach eigenem Gutdünken vor. Die beiden Flanken des Kreuzzugheeres versuchen sich freizukämpfen, um das Termitenheer von hinten anzugreifen, doch sie führen ihr Manöver zu langsam aus.
Der Termitenleim drückt die Bienen beim Versuch zu starten nieder. Sie verstecken sich im Sand, ebenso wie die Fliegen und wie Nr. 24 mit ihrem Kokon.
Nr. 103 ist überall, sie ermutigt die Infanterie, sich zu geschlossenen Vierecken neu zu gruppieren. Sie ist erschöpft. Ich werde alt … sagt sie sich, als sie danebenschießt.
Überall weichen die Kreuzzüglerinnen zurück. Was ist aus den strahlenden Siegerinnen über die Finger geworden? Was ist aus den Eroberinnen der Goldenen Bienenstadt geworden?
Die toten Ameisen türmen sich. Ganze
Weitere Kostenlose Bücher