Der Tag der Ameisen
seien sie auf eine Zahl von achtzigtausend gekommen.
Achtzigtausend Legionen?
Nein, achtzigtausend Soldatinnen. Chli-pu-nis Meinung nach reicht diese Zahl bei weitem. Wenn Nr. 103 683 sie wirklich für zu lächerlich halten sollte, sei die Königin mit einigen zusätzlichen Anreizen einverstanden, um hundert bis zweihundert Kriegerinnen mehr zur Verfügung zu stellen. Aber das sei das Höchste, was sie haben könne!
Nr. 103 683 überlegt. Die Königin ist sich über das Ausmaß der Aufgabe nicht im klaren! Achtzigtausend Soldatinnen, um gegen alle Finger der Erde anzugehen, das ist verrückt!
Doch ihre ewige Neugier quält sie. Wie könnte sie sich eine so kostbare Gelegenheit entgehen lassen? Sie versucht, sich Mut zu machen. Schließlich hätte sie mit achtzigtausend Soldatinnen ein bedeutendes Expeditionskorps zur Verfügung.
Ein wenig Wagemut, und die Sache ist geritzt! Sie wird es sicher nicht schaffen, alle Finger zu töten, aber sie wird viel besser begreifen, wer sie sind und wie sie funktionieren.
Einverstanden: achtzigtausend Soldatinnen. Nr. 103 683
möchte dennoch zwei Fragen stellen. Warum dieser Kreuzzug?
Und warum diese ganze Feindseligkeit gegen die Finger, wenn ihre Mutter Belo-kiu-kiuni ihnen doch Achtung entgegenbrachte?
Die Königin wendet sich zu einem Gang am hinteren Ende des Saals.
Komm. Ich geleite dich zu einem Besuch in der Chemischen Bibliothek.
28. LAETITIA TRITT BEINAHE IN ERSCHEINUNG
Das Zimmer war lärmend laut, verraucht, mit Tischen, Stühlen und Kaffeemaschinen vollgestopft. Tastaturen klapperten, auf Bänken lümmelten sich maulende Penner, an die Gitterstäbe ihrer Käfige geklammerte Typen beschwerten sich, daß es so nicht gehe und sie mit ihrem Anwalt telefonieren wollten.
Auf einem Plakat waren Gaunervisagen ausgestellt, je nach Höhe des Kopfgeldes geordnet. Der Tarif schwankte zwischen tausend und fünftausend Francs. Die Zahlen waren eher bescheiden, wenn man bedenkt, daß ein Mensch in seinem Körper organische Produkte beherbergt (Nieren, Herz, Hormone, Blutgefäße, verschiedene Flüssigkeiten), deren Gesamthandelswert eher um die fünfundsiebzigtausend Francs liegt.
Als Laetitia Wells im Kommissariat auftauchte, schauten zahlreiche Augenpaare auf. Diese Wirkung erzielte sie immer.
»Zum Büro von Kommissar Méliès, bitte?«
Eine untere Charge in Uniform verlangte ihre Vorladung zu sehen, ehe der Typ zu ihr sagte: »Dahinten, vor den Toiletten.«
»Danke.«
Sobald sie durch die Tür war, verspürte der Kommissar ein Stechen im Herzen.
»Ich suche Kommissar Méliès.«
»Der bin ich.«
Mit einer Handbewegung bot er ihr einen Platz an. Er konnte es nicht fassen. Noch niemals im Leben hatte er eine so schöne Frau gesehen. Keine seiner Eroberungen, ob in jüngster oder vor längerer Zeit, konnte ihr das Wasser reichen.
Was ihm zuerst auffiel, waren ihre lila Augen. Dann kam ihr Madonnagesicht, ihr zierlicher Körper und die Duftaura, die von ihm ausging. Bergamotte, Vétiver, Mandarine, Gallussäure, Sandelholz, das Ganze von einer Prise Moschus vom Pyrenäensteinbock erhöht, so etwa die chemische Analyse. Doch Jacques Méliès vermochte nichts als Entzücken zu schnuppern.
Noch ehe er ihre Worte verstand, ließ er sich von deren Klang mitreißen. Was hatte sie gesagt? Er bemühte sich, die Fassung wiederzugewinnen. So viele Informationen über Augen, Nase und Ohren sättigten sein Gehirn!
»Danke, daß Sie gekommen sind«, stotterte er schließlich.
»Nein, ich danke Ihnen, daß Sie sich zu diesem Interview bereit erklärt haben, wo Sie doch erst so zurückhaltend waren.« »Nein, nein, ich stehe in Ihrer Schuld. Sie haben mir bei diesem Fall die Augen geöffnet. Es war nur gerecht, daß ich Sie empfange.«
»Schön. Sie sind anständig. Darf ich unser Gespräch auf Band aufnehmen?«
»Wie Sie möchten.«
Er redete. Er gab belanglose Worte von sich, war aber wie hypnotisiert von dem Gesicht der jungen Frau, ihren ganz schwarzen, mit einem langen Pony à la Louise Brooks geschnittenen Haaren, ihren langen, lila Augen, die über hohen Wangenknochen in die Breite gezogen waren. Ihre vollen Lippen hatte sie diskret rosa geschminkt. Ihr violettes Kostüm verriet die Hand eines Couturiers. Ihr Schmuck, ihre Haltung, alles an ihr atmete große Klasse.
»Darf ich rauchen?«
Er nickte, hielt ihr einen Aschenbecher hin, und sie schwang eine kleine, ziselierte Zigarettenspitze. Sie zündete den Tabak an und stieß eine blaue Rauchwolke mit einem
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