Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
Vom Netzwerk:
gelingen, woran so viele gescheitert waren.
    Sie schenkte sich ein kühles Bier ein, das sie langsam genoß.
    Dann zog sie ihren Arbeitskittel aus und schlüpfte in einen rosa Bademantel. Auf einem Ärmel bemerkte sie ein winziges viereckiges Loch. Sie würde nicht lange brauchen, um es zu flicken. Sie nahm Nadel und Faden und setzte sich vor den Fernseher.
    Es war Zeit für »Denkfalle«. Caroline Nogard schaltete ein.
    Fernsehen.
    Madame Ramirez war noch immer dabei, mit ihren Allüren einer Durchschnittsfranzösin und ihrer so überzeugenden Schüchternheit, wenn sie ihre Lösungen erläuterte oder die logischen Schritte, die zu ihr geführt hatten.
    Der Moderator zog mit ihr seine übliche Show ab.
    »Ja, was denn, Sie haben’s nicht rausgekriegt? Schauen Sie sich die Tafel hier gut an und sagen sie unseren Zuschauerinnen und Zuschauern, was Ihnen bei diesen Zahlen einfällt.« »Na ja, wissen Sie, die Aufgabe ist wirklich einzigartig. Es handelt sich um eine Dreiecksfolge, die von der einfachen Einheit ausgeht und auf etwas viel Komplizierteres zuläuft.«
    »Bravo, Madame Ramirez! Machen Sie auf diesem Weg weiter, und Sie finden die Lösung!«
    »Am Anfang steht die Zahl eins. Man könnte … man könnte fast meinen …«
    »Die Fernsehzuschauerinnen und Fernsehzuschauer lauschen Ihnen, Madame Ramirez! Und das Publikum im Saal wird sie anfeuern.«
    »Na los, Madame Ramirez. Was könnte man fast meinen?«
    »Ein heiliger Text. Die Zahl 1 teilt sich, um zwei Zahlen zu ergeben, die ihrerseits wieder vier Zahlen ergeben. Das ist fast wie …«
    »Fast wie?«
    »Wie das Vorspiel zu einer Geburt. Das anfängliche Ei teilt sich zuerst in zwei, dann in vier Zellen, dann immer weiter.
    Ganz intuitiv erinnert mich dieses Schaubild an eine Geburt, an ein Wesen, das auftaucht und sich entfaltet. Das ist ziemlich metaphysisch.«
    »Genau, Madame Ramirez, genau. Was für ein großartiges Rätsel Sie uns anvertraut haben. Das ist Ihres Scharfsinns würdig und verdient den Applaus des Publikums.«
    Applaus.
    Der Moderator heizte die Spannung an.
    »Und welches Gesetz regiert diese Folge? Nach welcher Regel vollzieht sich diese Geburt, Madame Ramirez?«
    Verdrossenes Gesicht der Kandidatin.
    »Ich komme nicht drauf … Ah, ich setze meinen Joker ein.«
    Enttäuschtes Raunen im Saal. Das erste Mal, daß Madame Ramirez nicht weiter weiß.
    »Madame Ramirez, sind Sie sich ganz sicher, daß Sie einen Ihrer Joker verbraten wollen?« »Was soll ich sonst machen!«
    »Wie schade, Madame Ramirez, nach einem so schönen fehlerfreien Rennen …«
    »Dieses Rätsel ist was ganz Besonderes. Es lohnt sich, länger dabei zu bleiben, also müssen Sie mir helfen.«
    »Sehr schön. Wir hatten Ihnen schon einen Satz gegeben: ›Je intelligenter man ist, desto weniger Lösungschancen hat man.‹
    Der zweite lautet: ›Alles vergessen, was man gelernt hat.‹«
    Verdrossenes Gesicht der Kandidatin.
    »Und was soll das heißen?«
    »Tja! Das sollen Sie herausfinden, Madame Ramirez. Aber um Ihnen zu helfen, sage ich Ihnen, daß Sie wie bei einer Psychoanalyse in Ihrem Inneren eine Kehrtwendung machen müssen. Vereinfachen Sie. Ersetzen Sie die vertrauten Mechanismen der Logik und des Nachdenkens durch das Nichts.«
    »Das ist gar nicht so einfach. Sie verlangen von mir, daß ich das Denken durch Denken ausschalte.«
    »Tja, genau darum heißt unsere Sendung ›Denk…‹«
    »…falle!‹« setzte der Saal im Chor fort.
    Die Leute klatschten von selbst.
    »Mit Ihrem Joker haben Sie auch einen Anspruch auf eine weitere Zeile an der Tafel.«
    Dort stand:
    l
    11
    21
    1211
    111221
    312211
    Mit dem Filzstift schrieb er dazu:
    13112221
    Großaufnahme des verdutzten Gesichts von Madame Ramirez. Sie blinzelte. Murmelte Einsen, Zweien, Dreien, als würde es sich um das Rezept für einen Napfkuchen mit Pflaumen handeln. Die Verteilung der Dreien genau beachten.
    Dagegen nicht mit den Einsen geizen.
    »Also, Madame Ramirez, geht’s jetzt besser?«
    Ganz konzentriert gab Madame Ramirez keine Antwort und brummelte ein »Hmmm«, das heißen sollte: »Diesmal krieg ich’s, glaube ich, raus.«
    Der Moderator respektierte ihr Nachdenken.
    »Ich hoffe, daß auch Sie, liebe Fernsehzuschauerinnen und Fernsehzuschauer, sich unsere neue Zeile sorgfältig aufgeschrieben haben. Also, bis morgen, wenn Sie Lust dazu haben!«
    Beifall. Abspann. Trommeln, Trompeten, Geschrei.
    Caroline Nogard schaltete den Apparat ab. Ihr schien es, als würde sie ein leises Geräusch

Weitere Kostenlose Bücher