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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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hören. Sie schloß ihre Näharbeit ab. Perfekt, man sah nicht mehr das geringste von dem bösen kleinen Loch. Sie räumte Faden und Schere weg. Wieder ein Geräusch wie Papierrascheln.
    Es kam aus dem Badezimmer. Eine Maus konnte es nicht sein. Sie hätte beim Laufen über die Fliesen nicht diese Art Geräusch gemacht. Also, einer oder mehrere Einbrecher? Was taten sie im Badezimmer?
    Auf gut Glück suchte sie in der Kommode den kleinen Revolver Kaliber 6 mm, den ihr Vater dort vorsorglich für solche Fälle versteckt hatte. Um den oder die Eindringlinge besser überraschen zu können, schaltete sie den Fernseher wieder ein, drehte die Lautstärke auf und schlich sich auf leisen Sohlen zum Badezimmer.
    Eine Gruppe Rapmusiker grölte etwas von Revolte.
    »Eure Häuser, eure Läden, alles, alles verbrennen wir, alles, alles, alles …«
    Caroline Nogard drückte sich gegen die Tür, umklammerte mit beiden Händen fest ihren Revolver, wie sie es in amerikanischen Fernsehserien gesehen hatte. Mit einem Schlag stieß sie die Tür auf.
    Es war niemand da, aber dennoch war das Geräusch deutlich zu vernehmen, erscholl immer stärker von hinter dem Duschvorhang. Sie riß ihn mit einer raschen Geste beiseite.
    Zunächst machte sie einen Schritt vor, um das Phänomen besser zu begreifen. Dann kreischte sie entsetzt auf, sie schoß vergebens das ganze Magazin leer, wich keuchend zurück und stieß die Tür mit einem Fuß zu. Zum Glück steckte der Schlüssel auf der richtigen Seite. Sie drehte ihn zweimal um und wartete am Rand eines hysterischen Anfalls.
    »Es« würde ja wohl nicht durch die Tür kommen!
    Aber »es« kam durch. Und verfolgte sie sogar.
    Sie ächzte, rannte los, warf mit allerlei Nippes danach. Sie wehrte sich mit Händen und Füßen. Doch was hätte sie gegen einen solchen Gegner schon ausrichten können?

32. ETWAS ZUM STAUNEN
    Sie putzte sich den Kopf mit dem Kamm ihres Unterschenkels.
    Nr. 103 683 weiß wirklich nicht mehr, woran sie ist.
    Sie fürchtet die Finger und … hat die Aufgabe, sie alle umzubringen. Gerade hatte sie angefangen, an die Sache der Rebellinnen zu glauben und … muß sie verraten. Sie hat das Ende der Welt mit gerade zwanzig Kundschafterinnen erreicht und … hält nun achtzigtausend für lächerlich.
    Doch was sie vor allem beschäftigt, ist die Rebellinnenbewegung an sich. Sie hatte geglaubt, sich mit besonnenen Abenteurerinnen zu verbinden, und siehe da, sie hat es mit Halbverrückten zu tun, die bei jeder Gelegenheit dieses nichtssagende Wort ausstoßen: »Götter«.
    Selbst das Benehmen der Königin ist merkwürdig. Für eine Ameise redet sie viel zuviel. Das ist nicht normal. Sie will alle Finger umbringen, läßt aber die unter ihrer eigenen Stadt außer acht. Sie behauptet, die Zukunft liege im Studium der fremden Arten und weigert sich, Nutzen aus ihrem Fingerium zu ziehen, um mit der exotischsten und beunruhigendsten Spezies Experimente durchzuführen.
    Chli-pu-ni hat ihr nicht alles gesagt. Die Rebellinnen auch nicht. Man mißtraut ihr oder versucht, sie zu manipulieren. Sie kommt sich vor wie der Spielball der Königin oder der Rebellinnen, vielleicht sogar beider zugleich.
    Plötzlich fällt ihr etwas auf: Etwas Derartiges hat es noch in keinem Ameisenhügel auf dieser Welt gegeben. Man könnte meinen, in Bel-o-kan hätte alle Welt den Verstand verloren.
    Die einzelnen haben plötzlich eigenständige Gedanken, sind von Seelenstimmungen befangen, kurz: sie sind weniger ameisenhaft als zuvor. Sie mutieren. Die Rebellinnen sind Mutantinnen.
    Auch Chli-pu-ni ist eine Mutantin. Und ebenso wie Nr. 103 683 selbst zur Zeit dazu neigt, sich als Einzelwesen zu betrachten, kommt sie sich auch nicht mehr wie eine ganz normale Ameise vor. Was ist mit Bel-o-kan los?
    Außerstande, diese Frage zu beantworten, will Nr. 103 683
    erst einmal begreifen, was die Rebellinnen zu ihrem sonderbaren Ausruf treibt.
    Was sind denn »Götter«?
    Sie macht sich auf den Weg zu den Nashornkäferställen.
     

33. ENZYKLOPÄDIE
     
    TOTENKULT: Das erste Charakteristikum einer geistbegabten Zivilisation ist der »Totenkult«.
    Solange die Menschen ihre Leichen zusammen mit ihrem Abfall wegwarfen, waren sie nicht mehr als Tiere. Am Tag, an dem sie anfingen, sie zu begraben oder zu verbrennen, geschah etwas Unumkehrbares. Sich um seine Toten zu kümmern heißt, sich das Vorhandensein eines Jenseits vorzustellen, einer gedanklichen Welt, die über der sichtbaren Welt liegt. Sich um seine Toten zu

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