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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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Ameisen gemeinsam erlebt.
    Nr. 103 683 und die Hinkende legen ihre Antennensegmente aneinander. Es ist, als würden elf Münder und elf Ohren miteinander verschmelzen, als seien beide nunmehr ein einziges Insekt mit zwei Köpfen.
    Die Hinkende verströmt die Pheromone ihrer Geschichte.
    Als im vergangenen Jahr das große Feuer Bel-o-kan verwüstet und die Königin Belo-kiu-kiuni getötet habe, hätten die Ameisen mit dem Felsengeruch ihren Nutzen für Chli-pu-ni verloren. Die neue Herrscherin habe große Attacken gegen sie begonnen. Da seien die Ameisen mit dem Felsengeruch zu Rebellinnen geworden und hätten sich in diesem Schlupfwinkel versteckt. Dann hätten sie den Durchgang im Granitboden wieder aufgebrochen, sie hätten die Finger mit gestohlener Nahrung gefüttert, vor allem aber hätten sie die Gespräche mit deren Vertreter Doktor Livingstone fortgesetzt.
    Anfangs sei alles wie am Schnürchen gelaufen. Doktor Livingstone habe einfache Nachrichten gesendet: »Wir haben Hunger«, »Warum weigert die Königin sich, mit uns zu sprechen?« Die Finger hätten sich über das Treiben der Rebellinnen auf dem laufenden gehalten und ihnen geraten, bei ihren Kommandooperationen zum Nahrungsdiebstahl so vorsichtig wie möglich vorzugehen. Die Finger brauchten außerordentliche Mengen an Futter, und es sei nicht immer leicht, es ihnen unbemerkt zu liefern.
    Alles sei im Rahmen des Normalen geblieben. Aber eines Tages hätten die Finger eine Botschaft völlig anderer Art gesendet. Diese Duftnachricht habe behauptet, die Ameisen hätten die Finger unterschätzt, die Finger hätten es bisher nicht gesagt, aber in Wirklichkeit seien sie die Götter der Ameisen.
    »Götter«? Was bedeutet dieses Wort? hätten sie sich gefragt.
    Die Finger hätten ihnen erklärt, was Götter seien. Demnach seien das die Tiere, die die Welt errichtet hätten. Die Ameisen seien alle Teil ihres »Spiels«.
    Eine dritte Ameise stört die AK. Voller Eifer sagt sie: Die Götter haben alles erfunden, sie sind allmächtig, sie sind allgegenwärtig. Sie beobachten uns ununterbrochen. Die uns umgebende Wirklichkeit ist nur ein Schauspiel, das die Götter sich ausgedacht haben, um uns auf die Probe zu stellen.
    Wenn es regnet, dann, weil die Götter Wasser ausgießen.
    Wenn es heiß ist, dann, weil die Götter das Brennen der Sonne höher eingestellt haben.
    Wenn es kalt ist, dann, weil sie es heruntergedreht haben.
    Die Finger sind Götter.
    Die Hinkende übersetzt diese erstaunliche Botschaft. Nichts auf der Welt würde ohne die Götter existieren. Die Ameisen seien ihre Geschöpfe. Sie würden sich bloß in einer künstlichen Welt durchschlagen, die die Götter sich zum Vergnügen geschaffen hätten.
    Das habe Doktor Livingstone an jenem Tag gesagt.
    Nr. 103 683 ist perplex. Warum würden die Finger unter diesen Umständen dann unter dem Boden der Stadt sterben?
    Warum seien sie unter der Erde gefangen? Warum erlaubten sie einer Ameise, einen Kreuzzug gegen sie auszurufen?
    Die Hinkende räumt ein, daß in den Behauptungen von Doktor Livingstone einige Lücken klaffen. Ihr hauptsächlicher Vorteil bestehe jedoch darin, daß sie erklären, warum es die Ameisen gibt, und warum die Welt so ist, wie sie ist.
    Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir? Die Vorstellung von »Göttern« liefert endlich eine Antwort auf diese Frage.
    Wie dem auch sei, damit war der Keim gepflanzt. Diese erste
    »gottgläubige« Rede habe eine Handvoll Rebellinnen erleichtert und viele andere beunruhigt. Dann seien nur normale Erklärungen gefolgt, die nichts von »Göttern« gesagt hätten.
    Sie hätten nicht mehr daran gedacht, bis einige Tage später das aufsehenerregende Wort »gottgläubig« laut und vernehmlich aus den Antennen von Doktor Livingstone erschallte. Er habe abermals ein von den Fingern beherrschtes Universum postuliert, behauptet, daß es keinen Zufall gebe, daß alles, was sich hinieden ereigne, aufgezeichnet und hinterlegt werde. Daß diejenigen, welche die »Götter« nicht achteten oder fütterten, bestraft würden.
    Nr. 103 683 stehen vor Erstaunen die Antennen zu Berge.
    Wenngleich ihre Vorstellungskraft für Ameisenverhältnisse bereits beachtlich weit reichte, hätte sie doch niemals einen so phantastischen Gedanken zu fassen vermocht, daß Riesentiere die Welt beherrschen und jeden einzelnen Bewohner überwachen. Sie sagt sich, daß die Finger wirklich reichlich zu tun haben müssen.
    Trotzdem hört sie sich den Bericht der Hinkenden an.
    Die

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