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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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und Mikrofon diente. Dieser Apparat war ihr Botschafter beim Ameisenvolk, Doktor Livingstone.
    Durch seine Erfindung hatte Edmond Wells sich mit der Königin Belo-kiu-kiuni unterhalten. Sie hatten keine Zeit gehabt, viele Worte zu wechseln, aber doch genug, um zu begreifen, wie groß die Kluft zwischen ihren beiden Hochkulturen noch war.
    Jonathan hatte die von seinem Onkel zurückgelassene Fackel aufgegriffen und die ganze Gruppe mit dessen Leidenschaft angesteckt. Er redete gern davon, daß sie Kosmonauten in einer Raumkapsel seien, die mit Außerirdischen zu kommunizieren versuchten. Er behauptete: »Wir tun hier etwas, das sich als das faszinierendste Experiment unserer Generation herausstellen könnte. Wenn es uns nicht gelingt, mit den Ameisen zu sprechen, dann schaffen wir es auch nicht mit einer anderen Form von Intelligenz, ob irdisch oder außerirdisch.«
    Da hatte er zweifelsohne recht. Was nutzt es, im Recht zu sein, wenn man seiner Zeit voraus ist? Ihre utopische Gemeinschaft blieb nicht lange vollkommen. Sie waren die schwierigsten Probleme angegangen, von den trivialsten wurden sie aufgehalten.
    Ein Feuerwehrmann meinte eines Tages zu Jonathan: »Wir sind vielleicht wie Kosmonauten in ihrer Kapsel, aber die hätten dafür gesorgt, eine gleiche Anzahl von Männern und Frauen mitzunehmen. Wir sind hier nämlich fünfzehn Männer in der Blüte ihres Lebens, und es gibt nur eine einzige Frau.
    Von der Alten und dem Kleinen reden wir lieber nicht!«
    Jonathan antwortete schlagfertig: »Bei den Ameisen kommen auf ein Weibchen schließlich auch fünfzehn Männchen!«
    Sie hätten gerne darüber gelacht.
    Sie wußten nicht viel von dem, was da oben im Ameisenhügel ablief, nur daß die Königin Belo-kiu-kiuni tot war und ihre Nachfolgerin nicht mit ihnen reden wollte. Sie war sogar so weit gegangen, ihnen die Lebensmittelzufuhr abzuschneiden.
    Ohne Kontakt und Nahrung war ihr Experiment bald zur Hölle geworden. Achtzehn ausgehungerte Menschen, eingeschlossen unter der Erde: der Situation ließ sich nicht leicht Herr werden.
    Kommissar Alain Bilsheim hatte eines Morgens als erster die
    »Opfertruhe« leer gefunden. Daraufhin hatten sie sich mit ihren Vorräten beholfen, vorwiegend Pilzen, die sie hier unter der Erde anzubauen gelernt hatten. Dank der unterirdischen Quelle fehlte es ihnen nicht an Frischwasser, und dank der Belüftungs-kanäle nicht an Luft.
    Aber was waren Luft, Wasser und Pilze für eine Fastenkur!
    Einer der Polizisten war schließlich durchgedreht. Fleisch, er verlangte rotes Fleisch. Er schlug vor, daß man den, der den anderen als Frischfleisch dienen würde, auslosen sollte.
    Augusta Wells erinnerte sich daran, als hätte die grauenhafte Szene sich erst gestern abgespielt.
    »Ich will zu essen!« geiferte der Polizist.
    »Es ist aber nichts da!«
    »Doch! Wir! Wir können einander essen. Eine gewisse Anzahl von uns muß sich durch Losentscheid opfern, damit die anderen überleben.«
    Da war Jonathan Wells aufgestanden.
    »Wir sind keine Tiere. Nur die Tiere fressen einander gegenseitig auf. Wir aber sind Menschen, Menschen!«
    »Keiner zwingt dich, zum Kannibalen zu werden, Jonathan.
    Wir respektieren deine Ansichten. Aber wenn du dich weigerst, Menschenfleisch zu essen, kannst du ja trotzdem als Mahlzeit dienen.«
    Daraufhin machte der Polizist einem seiner Kollegen ein verschwörerisches Zeichen. Gemeinsam packten sie Jonathan und versuchten ihn zu erschlagen. Es gelang ihm, sich mit Fausthieben loszureißen. Nicolas Wells mischte sich in die Schlägerei ein.
    Die Rauferei weitete sich aus. Anhänger und Gegner des Kannibalismus schlugen sich auf die jeweilige Seite. Bald prügelten sich alle, bald floß Blut. Manche Schläge wurden mit der Absicht zu töten ausgeteilt. Die Liebhaber von Menschenfleisch hatten sich mit Flaschenscherben, Messern und Holzscheiten bewaffnet, um schneller an ihr Ziel zu gelangen.
    Sogar Augusta, Lucie und der kleine Nicolas hatten zu toben angefangen, zugepackt, Tritte und Fausthiebe ausgeteilt.
    Einmal biß die Großmutter in einen Unterarm, der in Reichweite ihres Mundes war, aber ihr Gebiß brach glatt auseinander. Der menschliche Muskel ist doch recht fest.
    Einige Meter unter der Erde isoliert, kämpften sie mit der Verbissenheit in die Enge getriebener Tiere. Man schließe achtzehn Katzen einen Monat lang in eine Kiste von einem Quadratmeter ein, dann bekommt man vielleicht einen Eindruck von der Wildheit des Scharmützels, das sich an jenem Tag die

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