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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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Ameisenhaufen im Wohnzimmer war, daß die Erde darin vermoderte. Daher mußte sie, wie man das Wasser der Goldfische regelmäßig auswechseln muß, alle vierzehn Tage die Erde für die Ameisen erneuern. Um das Wasser für die Fische auszuwechseln, reicht es, zum Käscher zu greifen, aber mit der Erde für die Ameisen war es ein Aufwand. Man brauchte zwei Aquarien: das alte mit der ausgetrockneten Erde und das neue mit der feuchten Erde. Sie verband beide mit einer Röhre. Die Ameisen wanderten dann in das feuchtere Erdreich. Ihr Umzug konnte einen ganzen Tag dauern.
    Laetitia hatte mit ihren Ameisenhaufen schon einige Überraschungen erlebt. Eines Morgens hatte sie zum Beispiel entdeckt, daß alle Bewohnerinnen ihres Aquariums – oder besser gesagt: Terrariums – sich den Hinterleib abgeschnitten hatten. Hinter der Scheibe türmten sie sich zu einem grausigen Hügel. Als hätten die Ameisen unter Beweis stellen wollen, daß sie der Gefangenschaft den Tod vorzogen.
    Andere ihrer Untermieter wider Willen hatten alles daran gesetzt zu entwischen. Mehr als einmal war die junge Frau mit einer Ameise auf dem Gesicht aufgewacht. Wenn dort eine spazierenging, dann hieß das, daß vermutlich gerade eine Hundertschaft von ihnen durch die Wohnung zog. Dann mußte sie sich auf die Jagd begeben, sie mit einem Teelöffel und einem Reagenzglas wieder einfangen, ehe sie sie wieder in ihr Gefängnis aus Glas steckte.
    In der Hoffnung, die Haftbedingungen ihrer Gäste und damit ihre Moral zu verbessern, hatte Laetitia in dem Terrarium ein Gärtchen aus Bonsaipflanzen und Blumen eingerichtet. Damit sich die Ameisen in einer abwechslungsreichen Landschaft bewegen konnten, hatte sie sich eine Ecke mit Kieseln, eine Ecke mit Baumsprossen, eine Ecke mit Geröll einfallen lassen.
    Damit sie wieder Geschmack an der Jagd bekamen, setzte sie in ihrem »Edmondpolis«, wie sie es nannte, sogar lebende kleine Heuschrecken aus. Die Soldatinnen machten sich einen Spaß daraus, sie zwischen den Bonsais zu Tode zu hetzen.
    Die roten Ameisen boten ihr die größte Überraschung. Als sie zum ersten Mal den Deckel des Terrariums hochhob, steckten ihr alle den Hinterleib entgegen und feuerten alle auf einmal ihre Säurestrahlen ab. Zufällig atmete sie einen Schwall dieser gelben Wolke ein. Sogleich war ihr Sehvermögen beeinträchtigt. Laetitia hatte rote und grüne Halluzinationen.
    Was für eine Entdeckung! Man konnte von den Ausdünstungen des Ameisenhügels »high« werden!
    Sofort notierte sie das Phänomen in ihrem Merkheft. Sie wußte bereits, daß es eine seltene Krankheit gab, deren Opfer wie magnetisiert von Ameisenhügeln angezogen wurden. Sie legten sich stundenlang dort hinein und stopften sich mit Ameisen voll, um, wie man annahm, ihr Blutdefizit mit Ameisensäure auszugleichen. Jetzt wußte sie, daß die Leute in Wirklichkeit nach der psychedelischen Wirkung der Ameisensäure suchten.
    Als sie wieder ganz bei Sinnen war, räumte sie die Gerätschaften weg, die sie zum Unterhalt ihrer Stadt brauchte (Pipette, Enthaarungspinzette, Reagenzglas und andere), und ließ ihr Hobby sein, um sich ganz ihrer Arbeit als Journalistin zu widmen. Wie ihre vorigen Artikel sollte sich auch der nächste mit dem mysteriösen Fall der Brüder Salta beschäftigen, den sie schleunigst aufklären wollte.
     

42. ENZYKLOPÄDIE
     
    MACHT DER WORTE: Die Worte haben eine solche Macht!
    Derjenige, der hier mit Ihnen spricht, ist schon lange tot, und dennoch bin ich dieser Sammlung von Buchstaben, die ein Buch bilden, höchst dankbar. Dank diesem Buch lebe ich. Ich geistere auf immer darin herum, und es raubt mir dafür die Kraft. Sie wollen einen Beweis dafür? Na schön: Ich, die Leiche, ich, der Kadaver, ich, das Skelett, kann Ihnen, dem Leser, der Sie noch leben, Befehle geben. Ja, so tot ich auch bin, kann ich Sie beeinflussen. Wo Sie auch sind, gleich, auf welchem Kontinent, gleich, in welcher Zeit, kann ich Sie zwingen, mir zu gehorchen. Einfach, indem ich Ihnen diese Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens in die Hand drücke. Und ich will es Ihnen gleich beweisen. Mein Befehl lautet:
    BLÄTTERN SIE UM!
    Sehen Sie? Sie haben mir gehorcht. Ich bin tot und Sie haben mir trotzdem gehorcht. Ich bin in diesem Buch. Ich lebe durch dieses Buch. Und dieses Buch wird die Macht seiner Worte nie mißbrauchen, denn dieses Buch ist ihr Diener. Befragen Sie es immer weiter. Es wird Ihnen stets zur Verfügung stehen. Die Antwort auf alle Fragen wird immer

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