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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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auf die Erde gesetzt, damit wir ihnen dienen. Sie beobachten uns, und wir müssen uns davor hüten, ihnen zu mißfallen, denn sie können uns bestrafen. Wir dienen ihnen, und sie geben uns dafür einen Teil ihrer Macht ab.
    Die Mehrheit der Teilnehmerinnen gehört zu den Opfern der Bandwurmbomben des Schwarzspechts. Sei es, weil sie nicht mehr viel zu verlieren haben oder weil sie Trost in ihrem Unglück suchen, Tatsache ist: Die Albinos sind den Argumenten der Gottgläubigen zugänglich. Oft fassungslos und manchmal skeptisch, würden sie alle gern auf eine Welt jenseits des Todes hoffen.
    Dazu muß man sagen, daß die armen Albinos Schweres durchmachen. Nach und nach von einer krankhaften Melancholie erfaßt, schleppen sie sich am Ende des Zugs dahin; sie fragen sich zu Recht nach dem Sinn des Daseins. Es kommt vor, daß sie sich weit zurückfallen lassen und so zur leichten Beute für Räuber aller Arten werden.
    Dabei würde jede Soldatin, die sähe, daß eine Kranke angegriffen wird, ihr ohne Zaudern zu Hilfe eilen. Die Solidarität unter den Ameisen gilt ausnahmslos für alle, und um vieles mehr bei einem Unternehmen wie dem ersten Kreuzzug.
    Wie dem auch sei, die Botschaft der Gottgläubigen ist verführerisch und trifft auf beifällige Antennen, auch bei den Unversehrten. Sonderbarerweise scheinen die in der Sandsteinhöhle versammelten Ameisen vergessen zu haben, daß sie ihre Stadt nur deshalb verließen, um diejenigen auszurotten, die sie jetzt schon beinahe anbeten. Trotzdem werden schwache Einwände laut, Fragen, die Verunsicherung säen könnten. Doch Nr. 23 hat eine Antwort parat: Worauf es ankommt, ist, sich den Fingern zu nähern. Um alles übrige braucht ihr euch nicht zu kümmern. Die Finger sind Götter, und sie sind unsterblich.
    Was soll man darauf antworten? Dennoch hebt eine rote Kundschafterin ihre Antenne:
    Warum senden die Finger nichts, das uns anweist, was wir tun sollen?
    Sie sprechen mit uns, versichert Nr. 23. In Bel-o-kan stehen wir im dauernden Kontakt mit den Fingern.
    Eine Artilleristin: Wie kann man mit den Fingern sprechen?
    Antwort: Man muß intensiv an sie denken. Die Götter nennen das »Gebet«. Jedes Gebet wird von den Göttern gehört, woher es auch kommen mag.
    Eine weiße Ameise stößt ein Verzweiflungspheromon aus: Können die Finger einen von Bandwürmern heilen?
    Die Finger können alles.
    Daraufhin fragt eine Soldatin: Das Volk befiehlt uns, alle Finger zu töten, was also sollen wir tun?
    Nr. 23 wirft einen scheelen Blick auf die Fragerin und bewegt ganz ruhig ihre Fühler.
    Nichts. Wir tun nichts. Wir halten uns raus und sehen zu.
    Fürchten wir nicht um die Götter. Sie sind allgewaltig.
    Verbreitet einfach das Wort von Doktor Livingstone. Laßt uns immer zahlreicher so zusammenkommen. Vorsichtig. Und vor allem: Beten wir!
    Für die meisten ist es das erste Mal, daß sie sich gegenüber dem Volk rebellisch verhalten. Das finden sie sehr aufregend.
    Selbst wenn es die Finger nicht geben sollte.
     

     

102. ENZYKLOPÄDIE
     
    GOTT: Gott ist per definitionem allmächtig und allgegenwärtig.
    Wenn es ihn gibt, ist er folglich überall und vermag alles. Doch wenn er alles vermag, vermag er dann auch eine Welt zu erschaffen, in der es ihn nicht gibt und wo er nichts vermag?
    Edmond Wells Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens, Bd. 2

103. ASKOLEIN, DER GOLDENE BIENENSTOCK
    Senkrechte Acht. Umgekehrte Acht. Spiralacht. Acht.
    Man bleibt stehen.
    Doppelacht. Wechsel des Winkels zur Sonne.
    Enge waagrechte Acht. Weite waagrechte Acht.
    Die Botschaft könnte nicht eindeutiger sein.
    Antwort: Acht, weite waagrechte Acht, Doppelacht, umgekehrte Acht. Dann Weitergabe an den nächsten Luftknotenpunkt.
    Die Bienen zeichnen kreisend ihre Informationen in den Himmel.
    Um anzugeben, daß das Futter sich in mehr als hundert Metern Entfernung befindet, bilden sie Achten, deren Mittelachse Richtung und Entfernung anzeigt.
    Die Stadt an der großen Tanne in der Nähe des Flusses trägt den Duftnamen Askolein, was auf bienisch »Goldener Bienenstock« bedeutet.
    Sie umfaßt sechstausend Einwohner.
    Eine askoleinische Kundschafterin, die diese Nachricht aufgefangen hat, hebt blitzschnell ab. Im Slalom schwirrt sie zwischen den Disteln durch, schwebt die Böschung hinauf, überfliegt eine große Ameisenkolonne, die zwischen dem Gras wimmelt (na, was tun denn die Ameisen in der Ecke hier?). Sie umfliegt die große Eiche, gleitet über die Zone der Sandklumpen.
    Da drüben, da

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