Der Tag der Dissonanz
konnten, während sie immer tiefer in das neblige Gebiet eindrangen.
Es war ein erbärmliches Land, überwiegend graues Gestein, das gelegentlich von Eisen rot getönt war. Es gab keine Bäume, nur spärliches Buschwerk, ein bißchen Gras. Der Himmel war ständig dunstig und überwiegend grau.
Bis auf Mudge machten der Nebel und der Dunst sie niedergeschlagen. Nichts schien ihr Vorankommen zu behindern. Ein paar geistlose Schreie und trauriges Geheul waren die einzigen Anzeichen für bewegliche Bewohner dieser Gegend, und nie näherte sich jemand ihren Lagern.
Sie marschierten bis ins Herz der Wirrwarr-Moore, wo sich niemand sonst hineinwagte. Je tiefer sie in das Moor eindrangen, um so stärker veränderte sich die Landschaft, und dies nicht zum Besseren. Die letzten verkümmerten Bäume verschwanden. Hier, in der ewigen Feuchtigkeit und unter der immerwährenden Wolkendecke, hatten die Pilzgewächse die Herrschaft an sich gerissen.
Gigantische Pilze, giftige und ungiftige, tropften vor Feuchtigkeit, als Jon-Tom und seine Begleiter unter den mit Sporen gefüllten Dächern ihren Weg suchten. Einige der knorrigen häßlichen Gewächse besaßen wacholderbaumdicke Stämme, während andere ihre zarten halbdurchsichtigen Stengel weit in den Himmel emporstießen. Nirgendwo gab es helle freundliche Farben, die die deprimierende, von Braun- und Grautönen beherrschte Szenerie aufgelockert hätten.
Teile der Flora waren gepunktet, andere gestreift. Manche Gewächse wiesen ein kariertes Muster auf, das Jon-Tom an ein nichteuklidisches Schachbrett erinnerte. Lebermoos wuchs hüfthoch, während Flechten und Laubmoose einen dicken weichen Teppich bildeten, in den sie knöcheltief einsanken. Sauberer Granit wurde durch kriechenden Pilzbefall entstellt. Und über diesem gewaltigen, wildexplosiven sporentragenden Leben hing beharrlich eine Atmosphäre der Verlassenheit, der Öde und der versteinerten Hoffnung.
Die ersten paar Tage waren sie beständig vorangekommen. Nun verlangsamte sich ihr Tempo. Sie schliefen länger und verwendeten weniger Zeit auf ihre Mahlzeiten. Es spielte keine Rolle, welche Nahrung sie aus ihrem Gepäck entnahmen oder was sie sich vom Land selbst holten - alles schien seinen Geschmack eingebüßt zu haben. Was sie auch aßen, es verlor schon im Mund jedes Aroma und lag hinterher wie ein Klumpen im Magen. Selbst das Wasser, das frisch aus den Wolken niederregnete, hatte einen metallischen, unbefriedigenden Geschmack.
Sie befanden sich schon fast eine Woche in den Mooren, als Jon-Tom über das Skelett stolperte. Wie auf alles andere in letzter Zeit reagierten seine Gefährten auch auf diese Entdeckung mit einem uninteressierten Murmeln.
»Na und?« brummte Mudge. »'at nich's zu bedeuten.«
»Ich setz mich hin«, sagte Roseroar. »Bin müde.« Das war Jon-Tom auch, aber der Anblick des nackten bleichen Gebeins, das unter der Kruste aus Rostpilzen und Mehltau hervorragte, ließ eine bis dahin schlafende Sorge wieder in ihm wachwerden.
»Da ist etwas faul«, sagte er ihnen. »Hier ist irgend etwas fürchterlich faul.«
»Gift is es nich, wenn du das meinst, Kumpel.« Mudge zeigte auf die sie umgebenden Gewächse. »Ich bin sehr vorsichtig gewesen. Alles was wir vom Land zu uns nahmen, war auch eßbar, auch wenn's lausig schmeckte.«
»Ihr habt Glück«, sagte Roseroar. »Für mich gibt's hia übahaupt kein Wild. Bin nich nur so tief gesunk'n, Unkraut zu fressen, ich muß sogar diesen Dreck runterschling'n. Essen war mia noch nie so langweilig, im ganzen Leben nich.«
»Langweilig, müde, geschmacklos... seht ihr denn nicht, was hier los ist?« fragte Jon-Tom die beiden anderen.
»Ach, du machst dir einfach nur ins 'emd wegen nich's, Kumpel.« Der Otter lag auf einem Berg aus weichem Moos.
»Ruh dich aus! Trink irgendwas!«
»Ja.« Roseroar legte ihren Schwertgürtel ab. »Setzen wia uns und ruh'n wia uns aus. Haben's nich eilig. Seit wia die Stadt verlassen hab'n, hab'n wia keine Verfolger mehr geseh'n, und ich glaube nich, daß wir hia auf welche treff'n werd'n.«
»Sie 'at recht, Kumpel. Sammel dir was Weiches zusammen und setz dich!«
»Jetzt hört mir mal beide z u !« Jon-Tom versuchte, etwas Nachdruck in seine Stimme zu legen, und mußte zu seinem Entsetzen feststellen, daß sie flach und merkwürdig emotionslos hervorkam. Er fühlte sich traurig und völlig nutzlos. Seit dem ersten Tag, da sie ihren Fuß ins Moor gesetzt hatten, hatte sich irgend etwas seiner bemächtigt. Es war mehr
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