Der Tag der Dissonanz
kann.«
»Sinnlos, sinnlos, sinnlos«, dröhnten die Schlauchpilze im Chor.
»Irgendwie 'at's aber auch keinen Zweck, Kumpel«, sagte der Otter. Einen Augenblick lang verzweifelte Jon-Tom und fürchtete, daß er seinen Freund für immer verloren hätte. Doch dann sprang Mudge auf die Beine und funkelte die Gewächse böse an. »Aber es macht auch verdammt viel Spaß!«
»Hilf Roseroar!« befahl Jon-Tom ihm, und ein gewaltiges Gefühl der Erleichterung durchflutete ihn. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf ihre heimtückisch gleichgültigen Angreifer.
»Hört mal, ich kann auch nichts daran ändern, daß ihr seid, was ihr seid, und daß ihr eure Existenz so deprimierend findet.«
»Es geht nicht darum, wie wir sie finden«, entgegnete der erste Pilz«, sondern darum, wie sie ist. Glaubst du, wir würden uns nicht ändern, wenn wir könnten? Können wir aber nicht. So ist das Leben eben: langweilig, stumpfsinnig, eintönig, grau, deprimierend. Verfall...«
»Aber es muß nicht unbedingt so sein. Ihr seid es schließlich, die es so belassen.« Er schnallte seine Duar los und machte sich an den heitersten, fröhlichsten Song, der ihm einfiel: Jon Denvers ›Rocky Mountain High‹ . Zum Schluß spielte er noch Rick Springfields ›We All Need the Human Touch‹ . Der graue Himmel klärte sich zwar nicht auf, und auch der Nebel hob sich nicht, aber er fühlte sich trotzdem schon viel besser.
»Na, was haltet ihr davon?«
»Wirklich deprimierend«, meinte der Giftpilz. »Nicht die Lieder. Deine Stimme.«
Achtzig Millionen Pilze gibt es in den Wirrwarr-Mooren dachte Jon-Tom, und ich muß ausgerechnet an einen Musikkritiker geraten. Er lachte, als er an die Absurdität des Ganzen dachte, und das Lachen verbesserte seine Laune noch mehr.
»Gibt es denn nichts, was euch eure Existenz etwas erträglicher machen kann, damit ihr uns in Ruhe laßt?«
»Wir können nicht anders, als unsere Gefühle mitzuteilen«, sagte der zweite Pilz. »Wir drücken euch dieses schwere Zeugs nicht auf, um gehässig zu sein, Mann. Wir sind nicht gehässig. Wir sind gleichgültig. Was dich runterbringt, Mann, das ist deine eigene Erkenntnis, daß das Leben sinnlos ist, und deine Unfähigkeit, etwas dagegen zu tun. Mach dir nichts vor, Mann: Der Kosmos ist ein Hänger.«
Hoffnungslos. Diese Wesen waren hoffnungslos, sagte sich Jon-Tom wütend. Wie konnte man gegen etwas ankämpfen, das einen nicht mit Schilden und Schwertern und Speeren angriff? Was konnte er gegen eine Breitseite aus Hinfälligkeit ausrichten, gegen ein Sperrfeuer aus Zweifeln?
Sie klangen so selbstsicher, so überzeugt davon, die Wahrheit erkannt zu haben. Na schön, dann würde er ihnen schon die Wahrheit zeigen! Wenn er sie nicht bekämpfen konnte, indem er anderer Meinung war als sie, schaffte er es vielleicht, indem er ihnen zustimmte.
Er atmete tief durch. »Euer Problem ist nur, daß ihr alle manischdepressiv seid.«
Ein langes Schweigen setzte ein, eine Atmosphäre des Grübeins, bis schließlich der Giftpilz fragte: »Wovon redest du da, Mann?« Im Hintergrund flüsterten sich einige Rostpilze zu: »Wenn das nicht ein ec h t beklop p ter Kunde ist!«
»Allzuviel Psychologie habe ich nicht belegt, aber für die juristische Vorausbildung habe ich doch etwas gebraucht«, erklärte Jon-Tom. »Ich wette, keiner von euch ist jemals auf den Gedanken gekommen, es mit Psychoanalyse zu versuchen.«
»Es womit zu versuchen?« wollte der erste Pilz wissen.
Jon-Tom entdeckte einen geeigneten Stein - einer, der hart und unbequem genug war, daß er wach blieb. »Dann hört mir mal zu. Hat irgendeiner von euch schon mal von Franz Kafka gehört?«
Mehrere Stunden verstrichen. Mudge und Roseroar hatten genug Zeit, um richtig aufzuwachen, und die mentalen Stimmen um sie herum waren beinahe lebhaft geworden, wenngleich sie immer noch flach und melancholisch klangen.
»... und noch etwas«, sagte Jon-Tom und zeigte zum Himmel empor, »dieser Himmel, von dem ihr ständig redet.
Nichts als eine infantile, analverhaltende Verstärkung. Na ja, vielleicht nicht ganz genau«, berichtigte er sich, als er sich an die ziemlich drastischen anatomischen Unterschiede zwischen ihm selbst und seinem Publikum erinnerte. »Aber im Prinzip.«
»Wir können es nicht ändern«, meinte der riesige Giftpilz.
»Der Nebel und die Kälte und die Wolken sind immer da. Wären sie nicht da, stürben wir alle. Das ist deprimierend. Und was noch deprimierender ist: daß wir ständigen
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