Der Tag der Dissonanz
anscheinend doch alles zum besten stand, wagte Jon-Tom eine Reprise des Songs und fügte, um alles abzurunden, noch den Refrain von ›Sail On, Sail On, Sailor‹ von den Beach Boys an. Die Sonne schien warm, der Wind war gleichmäßig, und Snarken schien dicht unterhalb des Horizonts zu liegen.
Dann legte er die Duar beiseite und begleitete Jalwar hinunter in die Kombüse, um ihrem Smutje in spe dort die Finessen des Propanherds und andere anderweltliche Esoterika wie Frischhaltefolie und Büchsenöffner zu erklären. Nachdem dieses und der Rest eines erfüllten Tages erledigt waren, gestattete er es sich, als erster im Bett zu sein.
Um schließlich von groben Händen geweckt zu werden, die ihn unsanft durchschüttelten.
»Steh auf, steh auf, Bannsänger!«
Jon-Tom, der sich äußerst merkwürdig fühlte, rollte auf die Seite und starrte plötzlich in das besorgte Gesicht des Frettchens.
»Was... wasch'n los?« Er war erschreckt von seiner eigenen Stimme, die unnatürlich klebrig und verschwommen klang. Und das Schiff schien im Kreis zu schlingern.
»Wir stecken tief in der Patsche, Bannsänger. Tief in der Patsche.« Jalwar verschwand.
Jon-Tom setzte sich auf. Dazu bedurfte es dreier Versuche. Dann versuchte er aus seiner Koje zu steigen und mußte feststellen, daß er den Boden nicht von der Decke unterscheiden konnte. Schließlich fand der Boden zu ihm.
»Was war'n das?« fragte eine ferne Stimme.
Er kämpfte sich auf die Beine. »Ich weiß nicht...« Er griff nach der Reling der unteren Koje und versuchte sich aufzurichten. »Wo isch'n das...?« Irgendwie gelang es ihm, sich in eine aufrechte Lage emporzuzerren. Auf zitternden Knien stehend, die entschlossen zu sein schienen, ihrer eigenen Wege zu gehen, stand er da, ohne jede anderslautende Anweisung seines Gehirns. »Wasch'n blosch losch mit mia?« stöhnte er.
Zwei Gesichter erschienen in der Türöffnung, eines über dem anderen. Beide waren verschwommen.
»Schaaiiße«, sagte Roseroar. »Er ist betrunk'n! Hab gar nicht geseh'n, daß er sich irgendwelchen Fusel reingezogen hat.«
»Ich auch nich«, sagte Mudge, der versuchte, sich an ihr vorbeizudrängen. »Mach Platz, du verdammt riesige Amazone!« Er legte Jon-Tom die Hände auf die Schultern und packte hart zu. Jon-Tom taumelte zurück.
»Beim Wurmfortsatz einer Wühlmaus, der is tatsächlich zu! Wo hast'n das Gesöff 'er, Chef?«
»Wasch für'n Geschöff?« fragte Jon-Tom mit schleppender Stimme. »Hab kein...« Beinahe wäre ihm der Boden unter den Füßen davongerutscht. »Schag mal, wer schteuert'n dieschen Busch?«
Der angewiderte Mudge wich einen Schritt zurück. »Kann keine Leute ertragen, die ihren Fusel nich be'errscht kriegen.«
»Laß'n erstma in Ruhe«, meinte Roseroar. »Wir müss'n die Sache selbst schauk'ln.« Sie wandten sich um, um zu gehen.
»He, wartet!« schrie Jon-Tom. Er machte einen Schritt vorwärts, worauf das heimtückische und gerissene Boot ihm mit voller Absicht den Boden unter den Füßen wegriß. Er schlug gegen die Tür und klammerte sich mit aller Gewalt daran fest.
Mudge hatte recht, erkannte er hinter dem glasigen Dunst, der sich über seinen Augäpfeln gebildet hatte. »Ich bin tats ä chlich betrunken.« Doch so sehr er sein Gedächtnis auch zermarterte: Er konnte sich nicht erinnern, beim Abendessen etwas Kräftigeres als Orangensaft zu sich genommen zu haben. Nachdem er ein paar Refrains von ›Sloop John B.‹ wiederholt hatte, um sicherzustellen, daß das Schiff nicht mitten in der Nacht unter ihnen entmaterialisierte, hatte er sich schlafen gelegt. Jalwar war wach und wachsam. Das waren sie alle - außer ihm.
Plötzlich verspürte er ein verzweifeltes Bedürfnis nach einem Bullauge und entdeckte gerade noch rechtzeitig eins, um den Kopf hinauszustrecken und seine Eingeweide über den nicht minder aufgewühlten Ozean zu verteilen. Als er endlich mit dem Übergeben fertig war, hatte ihn der Gischt auch völlig durchnäßt. Nun fühlte er sich etwas weniger weich in den Knien, doch keineswegs nüchterner.
Irgendwie schaffte er es, das Bullauge zuzuschlagen und es wieder zu schließen. Dann torkelte er die Gangway entlang und quälte sich an Deck.
Sobald er die Teakholzplanken betrat, fuhr ihn der Wind an, und der Regen trübte ihm die Sicht. Roseroar hielt mit grimmiger Entschlossenheit das Ruder fest, doch Mudge und Jalwar hatten furchtbare Schwierigkeiten, das Hauptsegel ein zu holen.
»Beeilt euch!« brüllte die Tigerin, deren Stimme im
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