Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikko Rimminen
Vom Netzwerk:
die ich wenige panische Schritte später als Erlenzeisige identifizierte, vermutlich waren sie beim Fressen gewesen, auf dem Friedhof, fütterte sie dort jemand, solche Sachen kamen mir in den Sinn. Dann klarte die Welt ringsum plötzlich auf, was natürlich überhaupt nichts mit dem Vogelschwarm zu tun hatte, sondern vor allem damit, dass ich geradewegs auf den Parkplatz gerannt war, wo gleich daneben der Kahlschlag gähnte, weshalb um mich herum und in den Augen auf einmal so viel Licht war, dass es wehtat. Aber obwohl ich in gewisser Weise noch die wundersame Schönheit registrierte, weil ringsum nichts war als reines, schräges Sonnenlicht und darin der leise flockende und flimmernde Kälteschnee, so konnte ich all das doch nicht in Ruhe bestaunen, weil ich es hinter mir schon wieder stampfen und keuchen hörte.
    »Bleib stehen!«, rief es. »Du verfluchte Schlampe, bleib stehen!«
    Ich weiß nicht, ob es die Schlampenbeschimpfung war oder was, vielleicht die pure Angst, jedenfalls erhielt ich neue Kraft zur Flucht, obschon meine Beine sich allmählich schlaff und verholzt zugleich anfühlten und der Parkplatzasphalt unter dem Schnee mit etwas Halbfeuchtem und sehr Glattemüberzogen war. Während ich versuchte, mitten in all dem grellen Licht meine Position im Verhältnis zum Auto einzuschätzen, fand ich noch Zeit, mich zu fragen, was, um Himmels willen, die Frau eigentlich gegen mich hatte, aber es war natürlich schwierig, bei dem Gerenne etwas gründlich und ausgewogen zu durchdenken, zumal nun aus dem blendenden Licht heraus auch noch ein Auto angefahren kam.
    Es sah so aus, als würde ich einerseits direkt vor das Auto laufen, das Auto aber andererseits direkt auf mich zufahren. Den Fahrer konnte ich nicht sehen, weil die Windschutzscheibe aus blassblauem, geschlossenem Winterhimmel bestand, über den sich von den Rändern her zwei einander ansaugende Fichtenwipfel bogen. Als der unsichtbare Fahrer dann auf die Bremse trat und das Auto mit seltsam ruckelndem Motor, oder was es nun mal war, zum Rutschen brachte, erstarrte ich nur wieder vor einer jähen Angst, schloss die Augen und rechnete wohl auch schon mit etwas Fatalem, aber da es nicht eintrat, öffnete ich die Lider so schnell, wie ich sie zugekniffen hatte, und sah, dass einer der Reifen nur wenige Zentimeter an meinen Zehen vorbeigerollt war. Und als ich aufblickte, stellte ich fest, dass bei dem Auto noch immer der Motor lief, zwei Fahrzeuglängen von mir entfernt, und dass hinter seinem Heck der Kopf von Hätiläs Tochter auftauchte, in deren Augen die Wut brannte und auf deren Backen runde, dunkelrote Placken wie Hackfleisch-Rote-Bete-Frikadellen à la Lindström prangten. Ihren schwarzen Hut hatte sie verloren, die Haare bewegten sich sacht im Luftstrom, der aus dem Auspuff drang.
    Dann schlitterte ich weiter. Hinter mir zischte Hätiläs Tochter dem Autofahrer etwas Galliges zu und schwenkte dieFaust. Offenbar kam sie jedoch zu dem Schluss, dass ich wichtiger war, auch wenn sie den Unschuldigen, der da gerade zufällig mit seinem Auto aufgekreuzt war, noch so gern erwürgt hätte. Tatsächlich kam sie mir hinterher. Und ich ging zu überstürzter Fortbewegung über, ziemlich unklug, aber du liebe Güte, ich war ja schließlich nicht auf eine Menschenjagd vorbereitet gewesen, die Autoschlüssel lagen beziehungsweise verkrochen sich irgendwo tief in der Handtasche, die eigentlich gar nichts Außergewöhnliches enthielt, aber es war halt eine andere Tasche als sonst, ich konnte ja schließlich nicht meinen üblichen Knautschbeutel zu einer Beerdigung mitschleppen, weshalb ich nur in aller Eile die Dinge, die sich in meiner eigentlichen Tragevorrichtung befunden hatten, in die etwas bessere Tasche gekippt hatte, und als ich nun buddelte und buddelte und sie am Ende wohl eher triezte und traktierte, die Tasche, da kam auch schon die Furcht erregende Person heran, bereit, mich an den Haaren zu packen oder an den Pranger zu stellen oder vor den Kadi zu zerren oder was auch immer sie im Schilde führte, ich hoffte bloß, dass sie mir nicht wehtat.
    Irgendwo in den Tiefen der Tasche ließ sich der Schlüssel kurz von den Fingerspitzen berühren und tauchte sogleich wieder ab, tauchte erneut auf und verschwand dann wieder, bis er schließlich zwischen Zeige- und Mittelfinger hängen blieb. Die Finger waren jedoch so klamm, dass ich den Schlüssel fast hätte fallen lassen, als ich ihn aus der Tasche riss und versuchte, ihn ins Schloss zu stecken, in das

Weitere Kostenlose Bücher