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Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikko Rimminen
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Schlange aus meinem Blickfeld, und gleichzeitig vollzog sich dabei eine motorische Massenverdichtung, wodurch sich auch die Lücke in der Menschenschar, die gerade noch Durchsicht geboten hatte, schloss. Da konnte man dann nur noch stocksteif dastehen und spüren, wie das Zittern der Anspannung durch die dünnen Schuhsohlen sickerte und im Erdboden verschwand. Trotzdem hörte und sah man nichts.
    Ich wartete. Ich wartete und wartete so hartnäckig und gedehnt, all die A und E des Wartens hallten im Kopf weich wider, als würde dort ein Typ mit gepolsterter Keule gegen die Schädelwand schlagen. Und bestimmt eine Sekunde bevor ich infolge des langen Wartens im Boden versunken wäre, sah ich, wie die Jokipaltios sich endlich durch die Menge schoben, auf einen Platz wenige Meter von mir entfernt.
    Sie bildeten dort in der hinteren Reihe eine hübsche kleine Familienblüte, nun, da auch der Vater keinen Kranz mehr zu tragen hatte. Ich schaute auf Irjas schwarzen, flusigen Rücken, wo ein trockenes gelbes Birkenblatt hängen geblieben war, und versuchte irgendworan zu erkennen, wie es ihr ging.Und nachdem ich lange genug innerlich Sorge geschöpft hatte, da kam er plötzlich, aus Versehen, unbeabsichtigt, ganz ohne jede Absicht, der Laut, ein kleiner, dummer, wichtiger Laut, ein Wort, ein Name, der ausgesprochen werden musste, eine Geste, die getan werden musste, es musste einfach sein, da half nichts. Ich musste sie einfach irgendwie auf mich aufmerksam machen.
    »Irja«, flüsterte ich und erschrak über meine eigene, durch die lange Wortlosigkeit aus dem Gleichgewicht geratene Stimme. Es war ein Flüstern, das schon, aber es klang, als wären die Laute in Großbuchstaben herausgekommen. »IRJA.«
    Sie hörte mich nicht.
    Sie hörte mich nicht, sondern drückte sich nur noch tiefer in die langen Automechanikerarme ihres Mannes Reino. Die Kinder schlotterten. Und ich stand
     in der kleinen Lücke zwischen Kiefer und Wacholder und spitzte den Mund, weil mir nach der beängstigend kräftigen und für mich selbst unvorhersehbaren
     Lautgebung nichts Besseres einfiel. Dann drehte sie plötzlich den Kopf, die Irja, und den Kopf drehten auch die Tochter, deren überreichliches Make-up
     zerlaufen war, und der Junge, dessen gegelte Haare bereift waren, und der Mann, unter dessen Kinn ein kleines Pflaster klebte, und auf einmal drehten auch
     alle anderen schwarzen Menschen die Köpfe, wie ich bemerkte, und dann bemerkte ich noch etwas, nämlich dass es eine ziemliche Ansammlung von steifen
     schwarzen Leibern war, in der plötzlich eine entsprechende Anzahl an hellrötlichen, rotäugigen Köpfen aufgeblüht war. Und dann kamen sie alle auf mich
     zu.

Als ich begriff, dass sich die Leute auf ein einziges geflüstertes Wort hin in Bewegung setzten, schob ich die Hand ins dichte Innere des Wacholders und fand dort einen schmalen, knotigen Stamm, den ich ergreifen, an dem ich mich abstützen konnte, und an den ich mich auch lehnte, obwohl das nicht viel half, sie kamen trotzdem, die Menschen, die ganz gewöhnlichen, trauernden Menschen, beängstigend viele Menschen, irgendwo unter ihnen war auch Irja mit ihrer Familie, ich verlor sie kurz aus den Augen und hing in dem blöden Baum, der an sich natürlich überhaupt nicht blöd war, sondern nur wegen meines Hängens und Versteckens; aber gut, ich hing also im Baum und versuchte gleichzeitig, mich in ihn hineinzuducken, damit man mich nicht sah. Ich hätte es bestimmt komisch gefunden, wenn ich das Ganze von außen betrachtet hätte, aber ich betrachtete es nicht von außen.
    Es gab jedoch tatsächlich keinen anderen Fluchtort als den Baum, und als ich merkte, dass die Jokipaltios sich anschickten, nur wenige läppische Meter vorne in der Gruppe an mir vorbeizugehen, was hätte ich da anderes tun sollen als flüstern: »Irja, Irja.« Und da gingen sie dann, der Junge voran, dann Vater und Tochter und zum Schluss Irja, zwar waren andere Leute um sie herum, aber die kannte ich nicht und die sah ich eigentlich auch nicht, ich musste jetzt irgendwie Kontakt zu Irja aufnehmen und Schluss mit den Faxen machen; »Irja«,flüsterte ich, »Irja, ich bin’s, entschuldige, ich bin zu spät gekommen.« Und da drehte sie plötzlich den Kopf und sah mich, du meine Güte, und ich Trampeltier umarmte den Wacholder und konnte sonst nichts tun, ich versuchte zwar, ganz natürlich zu wirken, irgendwie zu lächeln und etwas zu sagen, Hallo, Aber Irma, Ja hallo, Du bist also doch gekommen, Hallo Irja

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