Der Tag der roten Nase
Weile schon alles andere vergessen hatte, die Polizisten, die Autos hinter mir, den ganzen Kuddelmuddel.
»Wo bist du?«, fragte ich. »Ich hab versucht dich anzurufen.«
»Ich auch«, bellte er mit aufs Blut beleidigter Stimme ins Telefon.
»Hast du nicht«, fauchte ich und trat dabei, angespornt von einem blödsinnigen Impuls, auf die Bremse, weil auf der rechten Seite plötzlich ein Auto auftauchte. Es dauerte ein Weilchen, bis mir klar wurde, dass dort jetzt eine zusätzliche Spur war, die stammte wahrscheinlich von der einmündenden Autobahn aus Porvoo, und kurz rutschte das Auto, wohin es wollte, und wäre fast gegen sämtliche von rechts Kommenden geprallt, die zunächst flink vorbeisausten, bis eines von den Polizeiautos hinter mir nach rechts ausscherte und die Spur blockierte.
Mit Müh und Not bekam ich mein Auto wieder unter Kontrolle und fuhr auf der mittleren Spur den Ring-1-Brücken und der Stadt entgegen und dachte, da fahr ich jetzt also auf der mittleren Spur über die Autobahn und hab die Polizei an den Hacken; und als ich aus dem Telefon dann das lange, keuchende Husten meines Sohnes hörte, ergänzte ich die Liste: und telefoniere auch noch dabei.
»Wo hast du dir denn so einen Husten eingefangen?«, fragte ich, als gäbe es nichts anderes zu bereden.
Mein Sohn murmelte etwas von wegen Ach, den hab ich halt, und da sein Murmeln nun einmal aufgekeimt war, ließ eres auch weitersprießen, zweifellos mit etwas rechtfertigendem Unterton, aber es war trotzdem unmöglich, auch nur den geringsten Inhaltsbestandteil zu verstehen, weil ich gleichzeitig bemerkte, wie das rechte Polizeiauto als dunkle Gestalt mit blinkender Krone an mich heranschlich und auf einen Schlag dafür sorgte, dass alles sozusagen zurückkam, die ganze Beschwernis, das Schwitzen und Zittern und alle denkbaren Ängste und Schrecken und Schuld- und Schamgefühle; die eigentümliche Gelassenheit und Selbstsicherheit, die sich gerade eben noch in mich verirrt hatte, war im Nu dahin. Ich rief dem Jungen zu, es wäre gerade ungünstig, ich müsse aufhören, was ja auch stimmte, mir saß auf einmal wieder alles und jeder im Nacken, es schien unmöglich, das Auto weiter auf der Straße zu halten, und als mein Sohn laut wurde und wissen wollte: »Mama, was ist los bei dir?«, da rutschte mir heraus, Polizisten seien hinter mir her, Was, Polizisten, Was für Polizisten, Na Polizisten halt Polizisten Polizeipolizisten, Hinter dir her, Eigentlich sind sie schon fast neben mir, Was machen die da, Wo, Na hinter oder neben dir, Ich weiß es nicht, Wo bist du, Hier eben, Und wo ist hier, Das weiß ich nicht aber sie sind hinter mir her, Die Polizisten, Genau, Hast du was angestellt, Bestimmt bin ich verkehrt gefahren, Verkehrt, Vielleicht zu langsam, Jetzt red keinen Unsinn, Red ich auch nicht, Redest du doch, Die versuchen mich anzuhalten, Dann halt eben an nee warte mal, Was, O Scheiße, Was, Schon gut entschuldige.
Und dann, bevor mein Sohn weiterreden konnte, sprudelte in mir alles hoch, aus dem tiefsten Inneren, dass ich mit meinem Jungen hätte reden und mir Sorgen machen sollen, ich hatte das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen, gerade so als wäre ich eine Kriminelle, meine Güte, bei meinem Sohn hatteich oft genug den Verdacht gehabt und hatte ihn immer noch, wo er überall seine Finger im Spiel haben mochte und wo er überhaupt war. Aber ich konnte nichts dagegen tun, ich musste mit jemandem reden, und auch wenn man seinem eigenen Sohn nicht alles erzählen kann, kam es mir plötzlich schon viel vor, zu sagen, es sei ein Missverständnis passiert, ein schreckliches Missverständnis, ich hätte unbedacht gehandelt, mich vielleicht etwas dumm angestellt, wie auch immer, jedenfalls habe jemand die Polizei verständigt, und womöglich hätte ich auch einen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung begangen und das wäre also jetzt die Lage.
»Scheiße, Scheiße, Scheiße«, stöhnte mein Sohn.
Ich konnte gerade noch sagen, dass man so nicht mit seiner Mutter redete, dann kam von seiner Seite noch mehr hinterher, »Mama«, sagte er immer wieder, gut, dass er es nicht schrie, und man hörte ein sonderbares Rumpeln und dann wieder einen langen Redeschwall, aus dem man kaum schlau wurde, »Mama, hey«, schrie er, und dann »hey, Mama« und dass das Auto, also wegen der Versversver; ich konnte noch einmal zurückrufen: »Was?«, und er konnte noch einmal sagen: »Bei dem Auto«, ich müsste wissen, dass die Versversvers, und dann
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