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Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikko Rimminen
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einer in dem Zustand keine Gefahr darstellte. Er hatte den geschwollenen, gleichzeitig bleichen und roten unrasierten Kopf eines Gewohnheitstrinkers mit Haarmaterial auf dem Scheitel, das so dünn war, dass es sich bei der geringsten Vibration von selbst aufrichtete. Die Lippen waren straff und dunkelrot. Aus den Ärmeln des bis zur Löchrigkeit abgelebten Unterhemds ragten überraschend massive Arme, weshalb er kein kompletter Schlappsack sein konnte. Aus den Augen wurde man allerdings überhaupt nicht schlau.
    »Ich hätte da jetzt ein paar Fragen«, sagte ich, nahm die Unterlagen aus der Handtasche und raschelte eifrig damit, verlor mich dann aber in der Aussicht. Draußen sah man ein riesiges, häuserblockgroßes freies Areal, ein erstaunliches Refugium mitten in der lärmenden, staubigen Stadt. Ich war dort natürlich auch schon mal gewesen, aber die Perspektive warneu. Auf dem nassen, morastigen Rasen trat ein kleines Wesen im Overall mit frustriertem Ingrimm in die durchdrehenden Pedale eines Dreirads. Und mitten in diesem Universum zwischen den Häusern tanzte eine einsame Seifenblase.
    Ich kam zu mir, als es irgendwo blip machte. Mein Gastgeber schien nichts bemerkt zu haben, er glotzte mit wässrigen Augen nach draußen und hatte wohl ebenfalls vergessen, dass hier gerade etwas in Gang kam. Unauffällig sah ich mich um. In der winzigen Kochnische tropfte zwar der Hahn auf den Geschirr- und Mischmüllberg, machte aber nicht blip. Dann kam ich auf die Idee, aufzublicken, und in dem Moment blippte es wieder, an der Decke: ein Brandmelder, der sich schmarotzerhaft an eine verlassen herabhängende Lüsterklemme saugte.
    Der Kunde, also Virtanen, Kunde Virtanen stellte sich wieder taub. Wer weiß, wie lang er das Geräusch schon hörte. Der Hausmeister, dachte ich, das ist mir ein Hausmeister, der Hahn tropft und ein Batteriewechsel im Brandmelder überanstrengt ihn schon. Obwohl sie ja oft so gewesen waren, die Hausmeister, früher, als es noch welche gab.
    »Ich dachte eigentlich, dass Hausmeister quasi eine ausgestorbene Spezies sind«, sagte ich dann, weil mir nichts Besseres einfiel, um die schon fast unter die Haut gehende Stille zu unterbrechen. Ich hätte natürlich auch einen Scherz machen können, aber ein Eisengürtel in der Nackengegend hinderte mich daran. »Man vermisst die alten Zeiten«, fügte ich hinzu.
    Er drehte den Kopf und sah mir zum ersten Mal in die Augen. Ich erschrak. Es war schwer zu sagen, ob er einen Kater hatte oder noch betrunken war, und noch schwieriger wäre esfür ihn selbst gewesen, die Grenze zu ziehen, falls er an so etwas Interesse gehabt hätte.
    »Sind sie auch«, sagte er dann aschig. Er hatte die traurigen Augen einer Muhkuh. Um seine Stirn tanzte eine kleine schwarze Fruchtfliege, und er konnte offensichtlich nicht mit Sicherheit sagen, ob sich dort, am Rande seines Blickfelds, tatsächlich etwas bewegte oder ob da nur der Alkoholteufel sein kleines, aber grausam-schikanöses Spiel trieb. »Genau«, fuhr er dann trotzdem plötzlich atemlos fort, »ich bin gar kein Hausmeister, der ist vor über einem Jahr gestorben, da hängt nur immer noch das Schild an der Tür.«
    »Aha«, sagte ich. Auf einmal war es schwer, sich etwas anderes auszudenken, gern hätte ich etwas Aufmunterndes zustande gebracht, weil ihm nun schon Schweißtropfen auf der Stirn wuchsen. Ich konnte bloß nicht.
    »Also, das merkt man schon, dass der Hausmeister weg ist, die wechseln es einfach nicht aus, das Schild, aber was heißt die, heutzutage sind das wahrscheinlich irgendwelche Monteure, von einer Firma irgendwo in Kerava, was interessiert die das, wieso sollen die von dort hierherkommen, um bei irgendeinem Virtanen das Namensschild zu wechseln.«
    Als er Kerava erwähnte, flutschte mir etwas Vielförmiges, nicht eindeutig Warmes durch den Kopf. Ich sah aus dem Fenster, wo wieder eine Seifenblase zum Himmel aufstieg, gefolgt von einem Schwarm gelber Blätter. Der Brandmelder machte blip. Ich richtete den Blick wieder auf den Mann, in dessen Gesicht sich plötzlich eine besondere Miene einmassiert hatte, irgendwie schüchtern schuldbewusst und gleichzeitig so schelmisch, wie es nur bei einem vom Alkohol ramponierten Gewissen möglich ist. Mir war diese Art erwachsenerMänner, manchmal wie kleine Jungen auszusehen, vertraut, aber jetzt war ich innerhalb einer Viertelstunde gleich zweien dieser Sorte im selben Treppenhaus begegnet.
    »Ja, also«, fuhr er trotzdem fort, »ich muss aber schon sagen,

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