Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikko Rimminen
Vom Netzwerk:
ausgespuckt zu haben? Ich wagte es nicht, weiterzudenken und beschloss einfach, es noch einmal mit dem Vorstellen zu versuchen. Die Hand mochte ich nicht mehr anfassen, und ich fürchte, dass ich, als mir der bloße Gedanke daran durch den Kopf schoss, irgendwo in Hüfthöhe meine eigene Extremität etwas schröfflich schüttelte.
    »Ja, also Irma«, gelang es mir dann doch zu sagen. »Irma von der Marktforschung.«
    Im selben Moment begriff ich, dass ich neben Funktion und Vornamen keinerlei Nachnamen hervorgebracht hatte. Das war natürlich plump-vertraulich, das bloße Nennen des Vornamens, aber vielleicht war er von meiner Teil-Namenslosigkeit ein bisschen erschrocken, der Kunde, und misstrauisch geworden. Einen Nachnamen musste man schon haben, dachte ich, traute mich aber nicht, meinen eigenen zu nennen, ich musste mir etwas einfallen lassen, mir einen ausdenken, mir irgendwas zusammenspinnen. Und aus irgendeinem Grund kam ich nach all dem innerköpfigen Hin und Her dann auf die Idee, mir etwas Schwedisches auszudenken, vielleicht ein bisschen aus Gründen der Glaubwürdigkeit, es klang vornehmer, aber als ich die Entscheidung dann endlich fertiggedrechselt hatte, kam mir nichts Brauchbares in den Sinn, absolut nichts. Schließlich ähnelte das Einzige, das ich irgendwie herausmurscheln konnte, einer Lautfolge wie Güllenspähf, die ich so undeutlich aussprach, dass es garantiert klang, als wäre ich betrunken.
    »Sollen wir uns nicht setzen?«, fragte ich dann so fragend wie ich konnte, auch wenn es in erster Linie ein Flehen war. »Es dauert nicht lange.«
    »Setzen wir uns halt«, antwortete er sonderbar überabrupt, machte aber keinerlei Anstalten, na ja, Anstalten zu machen. Schließlich, als ich ihn eine Zeitlang angestarrt hatte, sicher überhaupt nicht böse, sondern eher verdutzt, wies er osteoporotisch schlaff in die Wohnung. Ich ging voran, ohne die Schuhe auszuziehen. Das schien meinen Gastgeber in keiner Weise zu empören, er schlurfte mir einfach hinterher und stießdabei seltsame Geräusche aus, wie beim Räuspern oder leichten Erbrechen.
    Der stumpfähnliche Flur machte eine enge Kurve, wonach schlagartig die eigentliche Höhle sichtbar wurde. Um eine Einzimmerwohnung handelte es sich, und das war mir natürlich keineswegs fremd. Mitten im Raum siechte eine Couch eher vor sich hin, als dass sie stand. Sie war in jeder denkbaren Richtung schief und am Zusammenbrechen unter ihrem verschnupften Grün und ihrer verblichenen Velourigkeit. Rund um die Zentralcouch lagen allerlei, wie soll man sagen, vielleicht sollte man sie asoziale Üblichkeiten nennen: weitere Pizzaschachteln, leere Flaschen, volle Aschenbecher und als Aschenbecherersatz eingespannte Notlösungen wie Dosen, Teller und ein konkav genagter Apfel. Papierknäuel, Zeitungen, Becher und Gläser, Strümpfe, ausgelaugte T-Shirts, löchrige Plastiktüten und verbogene Tütenverschlüsse. Und mitten in dem Chaos war auf einem verrenkt aussehenden Couchtisch ein alter Wecker auseinandergenommen worden, dessen Eingeweide, kleine Zahnräder, Federn und sonstigen Verzögerungsapparatürchen aussahen, als sei ihnen entweder eine sehr plötzliche Umwälzung widerfahren, oder aber schreckliche, langsame und neurotische Gewalteinwirkung.
    Mehr mochte ich nicht registrieren, ich bekam ein unangenehmes Gefühl, als müsste ich etwas sehr Persönliches betrachten, Toilettensachen oder so etwas. Den Mann hätte ich eigentlich auch nicht näher in Augenschein nehmen wollen, aber ich war natürlich gezwungen, ihn anzuschauen, da er mir mit einer Handbewegung bedeutete, mich an den kleinen Tisch mit Kaffeeflecken zu setzen und sich selbst gegenüberauf die Couch plumpsen ließ wie ein Sack. Es verzog und verbog mir das Herz, wenn ich ihn ansah.
    »Ja, ich wollte eigentlich gerade gehen«, sagte er mit staubiger und irgendwie fusseliger Stimme, wie man sie kriegt, wenn man tagelang mit keinem Menschen ein Wort gewechselt hat. Ich kannte das. »Da rüber«, fügte er hinzu und wedelte wieder quasi knochenlos mit der Hand in der Luft. »Also, als Sie kamen. Hierher. Sie.«
    Wo will so einer denn barfuß hingehen, dachte ich, sagte aber trotzdem nur »ach so« und »Entschuldigung, dass ich störe«.
    »Macht nichts«, muckte er, konnte mich aber noch immer nicht ansehen. Natürlich hatte er einen Kater, sie waren geradezu karikaturistisch klassisch, die Symptome, und da musste ich schmunzeln. Ich wagte es, ihn genauer zu betrachten, weil ich wusste, dass

Weitere Kostenlose Bücher