Der Tag der roten Nase
Gepolter zu hören. Dann brach der Lärm abrupt ab und er sagte: »Ja also, ich komm morgen vorbei, dann kannst du dir das Auto angucken.« Tuut-tuut.
Ich stand unter dem Vordach und starrte auf das Display, das nun ebenfalls verblasste und zu einem Bestandteil der Regendüsterkeit wurde. Der Wind blies Sprühregen auf den Geldautomaten. Zuerst dachte ich, ich wäre irgendwie verdutzt, aber das war es nicht, nicht so dramatisch, eher kam ich mir gerupft vor. Auf kindische Art schien es mir, als hätte mir mein Sohn das Gesprächsbeendigungsrecht geraubt, schließlich war ich diejenige, die hier bei dem Hundewetter und vor der Gruppe der Gaffer zitterte und sich nur dürftig geschützt die Aufdrängungsversuche anhören musste.
Aber als dann zufällig die Frau, die unter mir wohnte, in ihrem glockenartigen Mantel vorbeiwatschelte, einen Blick auf mich warf und ohne Anzeichen von besonderer Aufmerksamkeit weiterging, begriff ich drei Dinge.
Erstens: Ich hatte meinen Sohn grundlos angefahren. Zweitens: Ich war wieder in der Heimat und unter Leuten, die ich vom Sehen kannte. Drittens: Mein Gesicht war immer noch in erschütterndem Zustand.
Fast packte mich die Panik. Mit einem Ruck setzte ich mich in Bewegung, das Telefon noch immer in der Hand und in die Höhe gestreckt, als müsste ich damit den Weg nach Hause anpeilen, und als ich dann vom überdachten Teil auf den Bürgersteig trat, stellte sich bald heraus, dass ich bei dem Regen tatsächlich jemanden gebraucht hätte, der mich führt. Ich stapfte weiter, mit dem rotbunten, übergroßen Nervenbündel von Nase voran. Ich war erleichtert und entsetzt zugleich; erleichtert, weil die Nachbarin mich nicht erkannt hatte, entsetzt, weil ich mich allem Anschein nach selbst unkenntlich geschlagen hatte.
Und während ich mich durch den Regen kämpfte, erlaubteich mir kurz, über diesen langen Tag nachzudenken und über seine Folgen,
hauptsächlich über die monströse Nase, die im peitschenden Regen sowohl kalt als auch heiß wurde. Und da begriff ich plötzlich, dass ich eine Pause
brauchte, Zeit für mich, Faulenzen, etwas in der Art. Genesungsurlaub.
Die Nacht war voller ungeordneter Hirngespinste und geordneter Albträume. Jedes Mal wenn die Nase das Kopfkissen oder die Bettdecke berührte, wachte ich von dem Schmerz auf. Zwischenzeitlich hatte ich das Gefühl, er wäre gewachsen, der Klüver, zu einem echsenartigen Auswuchs geworden, der neben mir auf dem Kissen lag und wehtat und litt und die Schmerzen dann in mich hineinpumpte.
So ging das mehrere Tage. Es regnete wieder, als ich mich eines Morgens aus dem Bett hievte. Die blechernen Fensterbänke rappelten. Ich kochte Kaffee, versuchte die Zeitung zu lesen. Das klappte jedoch nicht so recht, die Nase schien noch stärker geschwollen zu sein, es war schwierig, über sie hinweg zu sehen. Bei jedem Schluck stieß sie gegen den Tassenrand, und dann waren die Augen wieder voller eintrübender, brennender, heißer Flüssigkeit.
Das Telefon klingelte drei Mal. Zuerst rief mein Sohn an, ich nahm nicht ab. Die nächste Nummer war unbekannt, vermutlich auch mein Sohn. Beim dritten Anruf wurde eine Nummer angezeigt, aber der Apparat kannte den Namen nicht.
Zwei Stunden saß ich da und starrte auf die Zeitung und das regengraue Fenster und wackelte mit der schmerzenden Nase, die sich zwischenzeitlich so anfühlte, als wüchse sie auch nach innen. Mit uneffektivem Grimm zog ich die Teppicheglatt, polierte den Spiegel im Flur und keulte die Sofakissen in Form. Irgendwann gegen Mittag beraschelte ich mich, es war tatsächlich eine Art Rascheln, kein Berappeln, ja, es war komisch, plötzlich merkte ich, dass ich abgedriftet und ganz woanders gelandet war, in Kerava, in Irjas Küche, in kleinen knubbeligen Erinnerungsbildern. Was war das Besondere daran? Sie waren gut, weil in ihnen alles enthalten war. Ich hatte das Gefühl, als würde die Nase gar keine große Rolle spielen, ganz vorsichtig wagte ich daran zu denken, dass da womöglich etwas Freundschaftsartiges aufkeimte, wer weiß, es hatte natürlich auch früher schon Freundinnen gegeben, die dann aber auch wieder verschwanden, sie hierhin, ich dorthin, dazu keine näheren Details, aus diplomatischen Gründen, und weil dann auch schon wieder das Telefon klingelte.
Es war mein Sohn. Ich schaute zwischen den Grünpflanzen hindurch nach draußen, dort war nicht groß was zu sehen, von dem dünner werdenden Regen und sonstigem Unschönen mal abgesehen, aber dann lief
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