Der Tag der roten Nase
Ast wie ein Hausbesitzer das Laub. Für einen Moment stolzierte mir der Stummelflagger durch die Gedanken. Dann blieb der Rauschebart zurück, und es folgten ins tiefe Grün des Nadelwalds geschleuderte, beinahe künstlich rote Vogelbeeren, es sah aus, als hätte jemand Farbe in den Wald gespritzt.
Erst irgendwo auf der Höhe von Jakomäki beruhigte ich mich allmählich, aber dann klingelte wieder mal das Handy. Natürlich war es mein Sohn, und einen Moment lang dachte ich, was soll ich mit dem jetzt reden, wo ich doch schon den ganzen Tag lang geschnattert habe, aber dann überwog plötzlich doch ein anderes Gefühl: Warum nicht, dann plärre ich eben im Bus herum. Ich legte das Handy ans Ohr und rief Hallo. Gleichzeitig schaute ich wieder aus dem Fenster, auf dem Seitenstreifen beugte sich ein Mann in den Schatten seiner Kühlerhaube, dann richtete er sich abrupt auf und schleuderte seinen Hut auf den Boden und trampelte darauf herum. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass so etwas im wirklichen Leben tatsächlich vorkommen konnte.
»Wo bist du?«, wollte mein Sohn wissen. »Furchtbarer Lärm.«
»Im Bus«, krakeelte ich, wie es Tausende und Abertausende Menschen in jeder Minute in unzähligen Bussen taten.
»Du brauchst nicht so zu schreien«, sagte mein Sohn wie zu einem Kind. Seine Stimme klang fern, als müsse sie durch ein Kabel unterm Meer hindurch und über allerhand Grenzen kriechen.
»Hallo«, sagte ich. Er sagte ebenfalls Hallo. Ich fügte hinzu: »Es klingt irgendwie komisch.«
»Ach so? Ich hab jetzt zwei Handys, das hier ist das eine, kann sein, dass da was nicht stimmt.«
»Und wieso?«, fragte ich meiner Meinung nach durchaus begründet. Was wollte er mit zwei Handys? Machte er sich jetzt wichtig?
»Hallo«, brüllte er, »ich hör dich so schlecht. Wo bist du?«
»Im Bus«, sagte ich.
»Ja, aber wo?«
»Auf der Autobahn«, sagte ich, und aus irgendeinem Grund oder Zwang flutschte mir unwiderstehlich und wie geschmiert die Idee in den Kopf, hinzuzufügen, ich käme aus Kerava. Mein Sohn wollte wissen, was ich dort zu suchen gehabt hätte. Neben mir saß niemand, aber ich blickte vorsichtig auf die andere Seite des Gangs, ob es dort ein Mitbürger missbilligte, dass in einem öffentlichen Verkehrsmittel ins mobile Kommunikationsmittel gebrüllt wurde. Nein. Ein nach Universitätsmensch aussehendes kleines, dünnes Wollpullovermännchen mit schütterem Schnurrbart – als ganzen Mann konnte man ihn nicht recht klassifizieren – flüsterte dort so erregt in sein Handy, dass sich das Flüstern letztlich lauter anhörte als richtiges Schreien. Seine Augen mit den seltsam gesträubten Wimpern klimperten förmlich hinter den runden Brillengläsern.
»Ich hab gearbeitet«, antwortete ich meinem Sohn. Nun klang auch meine Stimme fern und abweisend, ein bisschen so, als hätte man sich aus lauter Dummheit in eine Blechtonne gesetzt und wäre stecken geblieben und versuchte nun seine Würde zu bewahren, indem man rief, geht nur alle weiter, ich bin hier noch nicht fertig. Kurz fragte ich mich auch, woher dieses Gedankengebilde jetzt eigentlich wieder angerauscht war, vielleicht kam es daher, dass mein Sohn schwieg, schon lange und immer noch ein bisschen länger, bis er schließlich sagte: »Ajaa.« Da lagen drei A ziemlich dicht beieinander und dazwischen ein geschliffenes, misstrauisches J.
Die aufkommende Lust, ihn anzuschnauzen, war von der Sorte, die sämtliche Zellen zum Sieden bringt, aber ich beherrschte mich. »Also … genau … auch deshalb«, sagte er dann. Ich wartete auf die Fortsetzung. Inzwischen waren wirzügig durch Kumpula gekommen und jetzt drohte uns bereits die Paulskirche auf den Kopf zu fallen. Die Luft war plötzlich grau geworden, die Ahornbäume um die Kirche herum wirkten künstlich hell, als wären sie mit Licht besprüht worden.
»Ich muss gleich aussteigen«, sagte ich, als mein Sohn dann doch nichts weiter verlauten ließ. Ein angelschnurdünnes, bis zum Reißen gespanntes Gefühl dehnte sich in allen Gliedmaßen, und in Stirn und Nase pulsierte der Schmerz. »Du wolltest irgendwas.«
»Du, warte mal«, sagte er abrupt. »Nee, du, ich muss aufhören, ich ruf dich gleich zurück, ciao.«
Wieder hörte man ein kratzendes Geräusch und dann ein furchtbares Poltern, als wäre er zwischen leeren Blechkanistern hingefallen. Dann kam nur noch tuut-tuut. Draußen dämmerte es, das fand ich aus irgendeinem Grund jetzt nicht korrekt, so spät konnte es noch nicht
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