Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikko Rimminen
Vom Netzwerk:
schläfrigen Bewegungen trat er in den kleinen Flur, und ich stieß und drängte ihn weiter hinein.
    Immerhin ließ er sich dann ein bisschen steif umarmen, obwohl er nach dem Vorabend müffelte. Ich schnupperte an seinem fadenscheinigen, karierten Flanellhemd und äußerte die Ansicht, er müsse sich was zum Anziehen kaufen, wie viele Jahre solle ich ihm das noch sagen. Ich entließ ihn trotzdem nicht aus dem Klammergriff, und so war er schließlich gezwungen, mir in die Haare zu brummen: »Was ist eigentlich mit deinem Gesicht passiert, Mensch.«
    Da gab ich ihn frei. Er setzte sich an den Tisch und machte weiter Glotzaugen, den Kopf schief gelegt, den Mund einen Spalt offen. »Mama«, sagte er. »Im Ernst. Was ist mit deinem Gesicht passiert?«
    »Sieht es so schlimm aus«, plapperte ich, »dass mein eigener Sohn beinah Angst vor mir hat, als erwachsener Mensch?« Ich versuchte einen großzügigen Gesamteindruck zu fabrizieren, indem ich in der Kehle ein düsteres, gezwungenes Lachen zusammenbastelte, das selbst in meinen Ohren ungefähr nach Angina klang. »Bloß ein kleiner Arbeitsunfall«, sagte ich.
    Er schwieg lange. Von draußen drang ein Dröhnen und Gerüttel herein, das an den Zähnen kitzelte, weil die Mülltonnengegen das Müllauto und wieder zurück geschmettert wurden. Der arme Teufel von Hausmeister stand vor der Tür seines Treppenaufgangs, die Hände in die Hüften gestemmt und mit argwöhnischem Blick, er sah aus, als hätte er den Verdacht, die Müllmänner könnten sich etwas von dem kostbaren Abfall in die eigene Tasche stecken. Dann galt es aber wieder, sich dem eigenen Sohn zuzuwenden, der tief Luft holte und unvermittelt mit bräsiger, aufdringlicher Stimme fragte: »Bei was für einer Fressenpoliererei arbeitest du eigentlich?«
    »Pöh«, sagte ich. »Das war eine Tür.« In diesen Worten lag kein einziges Gran Lüge. Wieso packte mich trotzdem sofort das Gefühl, bloß eine Halbwahrheit aus der Tube gedrückt zu haben? Ich musste mich zum Weiterreden zwingen: »So blöd bin ich auch wieder nicht, ich weiß, wie sich das anhört, aber es war nun mal eine Tür, eine ganz normale Tür in Kerava, mit solchen habe ich neuerdings nämlich zu tun, arbeitsmäßig, mit solchen Türen, ich werde vor Türen vorstellig, weil ich, na ja, weil ich Forschung betreibe. An Türen.«
    »Du erforschst Türen?«
    »Nein, nicht Türen, sondern Menschen. Ihre Vorlieben. Gewohnheiten. Konsumgewohnheiten. Ganz normale Umfragen.«
    »Ahaa«, sagte er und zog wieder die Vokale in die Länge. »Jetzt sag mal ganz ehrlich, Mama. Hat dich jemand geschlagen? Ein Kerl? Das war doch nicht etwa …?«
    Er machte eine kleine Pause, als müsste etwas einrasten, dann schob er das Schlusswort hinterher und vervollständigte den Satz: »Papa.«
    »Ich rede nicht über deinen Vater, das weißt du ganz genau. Damit du gar nicht erst auf die Idee kommst, ich würde mich mit dem abgeben.«
    Die Mundpartie meines Sohnes formte sich zu einem Fischmaul, ich begriff, dass es ihm unangenehm war, obwohl seine Wangen von Natur aus rötlich sind, sodass man schwer erkennen kann, wann er rot wird, außer am Ansatz der blonden Haare. Jetzt bat er aber um Verzeihung, selten hörte man so etwas von ihm, aber wenn doch, hörte man auch, dass es von Herzen kam. Dann guckte er schüchtern und peinlich berührt auf seine Füße, und für einen Moment brachte mich dieses Verhalten auf den Gedanken, dass ich ihn viel zu streng erzogen hatte, wenn er sich so demütig geben konnte.
    »Na dann«, seufzte er schließlich, streckte den Rücken durch und schlug die Hände zusammen. »Wenn du es sagst. Na. So. Ja. Wo war ich stehen geblieben? Genau, ob wir nicht mal runtergehen und uns das Auto ansehen sollen.«
    Jetzt war ich an der Reihe, ihn verdattert anzugucken. Zu was für einem Wetterfähnchen war er denn mutiert? Litt er unter einer Geistesstörung? Ich machte mir Sorgen, wollte ihn rügen, alles zusammen, aber was konnte ich anderes tun, als ihm zu folgen, wo er schon auf dem Weg zur Tür war, nicht mal die Schuhe hatte er ausgezogen. Kaffee, versuchte ich es noch, Kaffee, setzen wir uns und trinken Kaffee, aber er hörte nicht mehr zu, sondern schnaubte nur etwas übel Riechendes wie: »Jetzt sehen wir uns das Auto an, es ist ein gutes Auto und steht direkt vor der Tür, ein gutes Auto, das musst du einfach nehmen, schon wegen der Arbeit, und wo soll ich es außerdem abstellen, jetzt, wo ich nach … also da hinmuss.« Und dann ging ihm

Weitere Kostenlose Bücher